
Ein Interview mit Janina Zerbe, Kreativdirektorin und Gesellschafterin, KHR Architecture, Kopenhagen.
Schon seit den 1960er-Jahren ist bekannt, dass Architektur die Gesundheit beeinflussen kann. Die Anwendung von Healing Architecture in Gesundheitsbauten (vornehmlich Krankenhäuser und Pflegeheimen) spielt daher heute eine immer wichtigere Rolle. Welche gestalterischen und (innen-)architektonischen Elemente setzen Sie im Gesundheitswesen daher bevorzugt ein?
Janina Zerbe: Dass Architektur einen Einfluss auf das Wohlbefinden hat, wurde bereits in den 1960er- und 1970er-Jahren erkannt, als KHR Architecture seine ersten großen Krankenhausprojekte in Dänemark und Norwegen entwickelte. Seitdem hat sich dieser Ansatz erheblich weiterentwickelt. Heute sind wir bei KHR Architecture mit unserer Gesundheitsarchitektur darauf konzentriert, Umgebungen zu schaffen, die das Wohlbefinden von Patienten, Personal und Angehörigen gleichermaßen in den Mittelpunkt stellen.
Dieser breite Fokus spiegelt unsere Überzeugung wider, dass der Begriff „heilende Architektur“ zu eng gefasst sein könnte, da er oft den entscheidenden Einfluss des Personals und der Familie auf die Genesung der Patienten übersieht.
Wir nehmen jetzt eine ganzheitlichere Sichtweise ein, da wir als Architekten mit einer komplexen Reihe von Aufgaben konfrontiert sind.
Im Mittelpunkt unseres Designprozesses steht die Einbeziehung der Nutzer. Bereits in der Anfangsphase arbeiten wir aktiv mit dem medizinischen Personal, den Patienten und ihren Familien zusammen, um sicherzustellen, dass unsere Räume funktional sind und ihren unterschiedlichen Bedürfnissen gerecht werden. Dank dieses kooperativen Ansatzes können wir jeden Bereich so gestalten, dass er die medizinischen Arbeitsabläufe und die Patientenversorgung effektiv unterstützt, was die Zufriedenheit des Personals und die betriebliche Effizienz direkt steigert.
Wir legen Wert auf Gestaltungselemente, die das therapeutische Umfeld verbessern, wie z. B. natürliches Licht, das, wie die Forschung immer wieder zeigt, die Gesundheitsergebnisse erheblich verbessern kann. Die Verwendung natürlicher Materialien reduziert den institutionellen Eindruck und fördert eine organische, beruhigende Atmosphäre. Dies ist auch deshalb sehr wichtig, weil sich die ambulanten Patienten, die eine ständig wachsende Gruppe darstellen, in einem solchen Umfeld weniger krank fühlen, was sich positiv auf den Verlauf der Behandlung auswirkt.

Sanct Hans Forensische Psychiatrie: Materialien wie zu Hause

Sanct Hans Forensische Psychiatrie: Gemeinschaftsraum mit Ausblick


Sanct Hans Forensische Psychiatrie: Ausgang und Ausblick zur Natur / Patientenzimmer
Wie sollten die öffentlichen und allgemein zugänglichen Bereiche eines Krankenhauses/Pflegeheims idealerweise konzipiert und gestaltet sein?
Janina Zerbe: Öffentliche Räume in Krankenhäusern und Pflegeheimen sind entscheidend für die Gestaltung einer heilenden Umgebung. Wir gestalten diese Räume so, dass sie einladend und beruhigend wirken, mit klaren Orientierungslösungen, um Stress und Verwirrung zu vermeiden. Bequeme Sitzgelegenheiten, beruhigende Farben und natürliche Materialien schaffen Bereiche, die zur Entspannung einladen. Darüber hinaus werden interaktive und gemeinschaftliche Bereiche geschaffen, um soziale Interaktionen zwischen Patienten und Besuchern zu fördern, die für das psychische Wohlbefinden unerlässlich sind.
Zudem zeichnen sich unsere Entwürfe durch ihre Flexibilität bei der Anpassung an sich entwickelnde Technologien und Verfahren aus. Diese Anpassungsfähigkeit stellt sicher, dass unsere Räume den dynamischen Bedürfnissen der Gesundheitsdienstleister gerecht werden und sich an Änderungen bei medizinischen Verfahren und Geräten anpassen lassen.
Wie sieht für Sie im Sinne der Healing Architecture ein optimales Patientenzimmer aus?
Janina Zerbe: Das optimale Patientenzimmer stellt eine sorgfältige Balance zwischen funktionaler Effizienz, Patientenwohlbefinden und wirtschaftlicher Nachhaltigkeit dar. Für das neue Akutkrankenhaus Bispebjerg in Kopenhagen haben wir ein neuartiges Patientenzimmer mit Blick auf die Natur entworfen, wobei der Raum so gestaltet ist, dass er den Patienten den bestmöglichen Einfluss auf ihre eigene Situation und die größtmöglichen Entwicklungschancen bietet.
Die spezielle Winkelanordnung der Zimmer verbessert nicht nur die Aussicht auf die Außenbereiche, was nachweislich die Erholung fördert, sondern verdeckt auch die oft entfremdende Krankenhaustechnologie hinter dem Bett.
Diese durchdachte Anordnung ermöglicht es dem Patienten, sich selbstständiger zu fühlen und unterstützt gleichzeitig die Arbeit des Pflegepersonals, indem sie die Wege verkürzt und die täglichen Abläufe optimiert.
Die Reduzierung der Quadratmeterzahl des Patientenzimmers führt zudem zu erheblichen Einsparungen sowohl in der Bauphase als auch im laufenden Betrieb. Diese innovativen Planungslösungen, die KHR entwickelt hat, stellen sicher, dass trotz der verkleinerten Fläche keine Abstriche in Bezug auf Komfort und Funktionalität gemacht werden müssen. Dadurch entsteht ein Raum, der sowohl für die Patienten als auch das Personal eine Verbesserung darstellt und gleichzeitig kosteneffizient bleibt.
Diese holistische Herangehensweise spiegelt das Bestreben von KHR wider, Räume zu schaffen, die sowohl den menschlichen Bedürfnissen als auch den wirtschaftlichen Anforderungen des Gesundheitswesens gerecht werden.



Und welche Wirkungen können durch verschiedene Elemente (z. B. Formen, Farben, Licht, Material usw.) bei den Patientinnen und Patienten erzielt werden?
Janina Zerbe: Verschiedene Gestaltungselemente wie Formen, Farben, Licht und Materialien haben eine tiefgreifende Wirkung auf die Patienten.
Hier spielen die Architektur und die Inneneinrichtung zusammen, und wir sehen es als großen Vorteil an, wenn man die Gestaltung ganzheitlich betrachten kann.
Im Kinderkrankenhaus Glasblokkene in Bergen zum Beispiel waren wir sowohl an Architektur wie auch an den festen und losen Möbeln, der Kunst und der Wegführung beteiligt, die alle zusammen eine Umgebung für die verschiedenen Bedürfnisse der Patienten schaffen.
Die Farbgebung wird nach ihrer psychologischen Wirkung ausgewählt: Grün gilt als die Farbe der Natur und signalisiert Ruhe und Ausgeglichenheit. Blau hat eine entspannende Wirkung, kann aber auch gut für die Konzentration sein. Gleichzeitig können Farben zur Orientierung beitragen. In Bergen hat so jeder Block sein eigenes Farbschema erhalten. Außerdem haben wir in verschiedenen Gesundheitsprojekten natürliche Materialien wie Echtholz für Einbaumöbel verwendet, um zu einer angenehmen und wohnlichen Atmosphärebeizutragen.

Glasblokkene: Sowohl innen wie außen bietet Kunst Atmosphäre und Ausgleich



Aber Architektur ist viel mehr als sichtbare Formen und Farben.
Ich denke da zum Beispiel an eine gute Akustik, die für das Wohlbefinden von Patienten und Personal unglaublich wichtig ist. Lärm, insbesondere Dauerlärm, ist eine enorme Quelle für die Überlastung des Nervensystems und daraus Stress.
Auch der durchdachte Einsatz von natürlichem und künstlichem Licht, um bei den Patienten einen natürlichen Biorhythmus aufrechtzuerhalten, was zu besserem Schlaf und schnellerer Erholung beiträgt, ist ein wichtiges Element.
Ein weiteres Beispiel ist der Haut-zu-Haut-Kontakt bei Neugeborenen und insbesondere bei Frühgeborenen. Hier besteht die Aufgabe der Architektur darin, den Rahmen für diesen Kontakt zu schaffen:
Hervorheben: Die Gestaltung von Patientenzimmern mit Platz für Angehörige und die Schaffung des notwendigen privaten Raums, damit sich alle wohlfühlen können, auch bei längeren Krankenhausaufenthalten.

Patientenzimmer: Einrichtung zum Wohlfühlen

Patientenzimmer mit eingebautem Sofabett und Ausblick
Durch welche Merkmale sollten sich Mitarbeiterzimmer/-bereiche auszeichnen?
Janina Zerbe: Das Wohlbefinden der Mitarbeiter im Gesundheitswesen steht bei jedem Projekt im Mittelpunkt, da sie täglich mit großen Herausforderungen konfrontiert sind. Wir entwerfen Personalbereiche, die sowohl funktional als auch erholsam sind, um Stress abzubauen und Erholung zu ermöglichen. Diese Räume bieten Annehmlichkeiten wie Zugang zu Tageslicht, bequeme Möbel und private Pausenbereiche, die Entspannung fördern.
Gleichzeitig ist uns bewusst, dass das Arbeitsumfeld als Ganzes entscheidend ist – ein komfortabler Personalraum allein kann nicht ausgleichen, wenn der restliche Arbeitstag in einer belastenden Umgebung stattfindet.
Daher legen wir Wert darauf, dass auch die übrigen Arbeitsbereiche so gestaltet sind, dass sie das Wohlbefinden unterstützen und den Anforderungen des Gesundheitsberufs gerecht werden. Indem wir das Wohl der Mitarbeiter in den Vordergrund stellen, schaffen wir Arbeitsumgebungen, in denen sie sich beruflich und persönlich entfalten können, was letztlich zu einer besseren Patientenversorgung führt.
Und wie wirken sich diese positiv auf die Mitarbeitenden selbst aus?
Janina Zerbe: Gut gestaltete Personalbereiche haben einen erheblichen Einfluss auf die Arbeitsmoral und Produktivität des Personals. Durch die Bereitstellung eines komfortablen, ästhetisch ansprechenden und unterstützenden Umfelds kann das Personal ein höheres Maß an Wohlbefinden aufrechterhalten, was sich in einer besseren Patientenversorgung niederschlägt.
Räume, die das Gemeinschaftsgefühl fördern und die notwendigen Pausen ermöglichen, tragen dazu bei, ein soziales Arbeitsumfeld zu schaffen, Burnout vorzubeugen und qualifizierte Fachkräfte im Gesundheitswesen zu behalten und zu gewinnen.
Wie können sich solche Konzepte/Gestaltungselemente auch auf das private Wohnen ausweiten?
Janina Zerbe: Die Grundsätze der nutzerzentrierten, auf das Wohlbefinden ausgerichteten Gestaltung, die wir in der Architektur des Gesundheitswesens anwenden, lassen sich nahtlos auf Privathäuser übertragen. Durch die Einbeziehung von natürlichem Licht, offenen Räumen, die ein Gefühl von Luftigkeit vermitteln, und Materialien, die sowohl ästhetisch als auch haptisch ansprechend sind, schaffen wir Umgebungen, die das Wohlbefinden in den eigenen vier Wänden steigern. Unser Ansatz geht jedoch über diese physischen Aspekte hinaus. Bei KHR Architecture legen wir großen Wert auf soziale Nachhaltigkeit.
Denn wir wissen, dass soziale Interaktion und Gemeinschaft für das Wohlbefinden des Einzelnen entscheidend sind, insbesondere für ältere und alleinlebende Menschen.
Bei der Gestaltung von Privatwohnungen bedeutet soziale Nachhaltigkeit die Schaffung von Räumen, die nicht nur die physische Gesundheit unterstützen, sondern auch ein Gefühl der Verbundenheit und der Integration fördern. Für ältere oder alleinlebende Menschen kann die Möglichkeit, sich mit ihrer Umgebung und der Gemeinschaft um sie herum zu beschäftigen, ihre geistige und emotionale Gesundheit erheblich beeinflussen. Dies kann bedeuten, dass Wohnhäuser mit flexiblen Gemeinschaftsräumen entworfen werden, und dass die Nachbarschaftsplanung die soziale Interaktion fördert.
Unser Ziel ist es, Häuser zu entwerfen, die sich im Laufe der Zeit an die Bedürfnisse der Bewohner anpassen. Diese Flexibilität ist ein entscheidender Faktor zur Förderung des körperlichen und sozialen Wohlbefindens. Indem wir sicherstellen, dass die Wohnräume in allen Lebensphasen komfortabel, funktional und unterstützend bleiben, tragen wir dazu bei, die langfristige Unabhängigkeit zu gewährleisten und das Risiko der Isolation zu minimieren.
In Dänemark verbringen Menschen im Durchschnitt weniger als die Hälfte der Zeit im Krankenhaus im Vergleich zu Deutschland. Dies macht die Verzahnung mit dem privaten Wohnen umso wichtiger, da häusliche Umgebungen zunehmend eine Rolle bei der Genesung und dem langfristigen Wohlbefinden spielen.
Die Gestaltung von Wohnräumen, die gesundheitsfördernde Elemente wie Tageslicht, Flexibilität und Barrierefreiheit integrieren, kann entscheidend dazu beitragen, dass Patienten nach kürzeren Krankenhausaufenthalten besser zu Hause versorgt werden können.
Wir danken Ihnen für dieses Interview.
Fotos und Copyrights:
Glasblokkene: Jiri Havran
Sct. Hans: Adam Mørk
Patientzimmer: KHR Architecture
Porträt: Torben Eskerod