Die Diakonie Stiftung Salem in Minden leistet in vielen Bereichen der Sozialen Arbeit ihre Dienste, von der Schwangerenberatung bis zur Hospizbegleitung. Hier arbeiten in etwa 89 unterschiedlichen Einrichtungen rund 2.800 Menschen mit und ohne Behinderung.
Die Diakonie Stiftung Salem ist ein gelungenes Beispiel für ein agiles Sozialunternehmen. Das war nicht immer so.
Christian Schultz ist seit sechseinhalb Jahren geschäftsführender kaufmännischer Vorstand Wir haben mit Herrn Schultz darüber gesprochen, was es heißt, ein Sozialunternehmen agil aufzustellen, über die Herausforderungen des Change-Prozesses und über die Chancen für Mitarbeiter und für das Unternehmen selbst.
Dynamisch und erfolgversprechend: Die Diakonie Stiftung Salem auf Kurs zu einem agilen Sozialunternehmen
Herr Schultz, Sie sind seit sechseinhalb Jahren geschäftsführender kaufmännischer Vorstand der Diakonie Stiftung Salem Was hat Sie bewogen, die Agenda Agiles Sozialunternehmen 2025 auf den Weg zu bringen?
Christian Schultz: Auf 152 Jahre Geschichte kann die Diakonie Stiftung Salem im Jahr 2020 zurückblicken. Rund 2.800 Mitarbeitende mit und ohne Behinderung unterstützen engagiert mehr als 3.000 Menschen aller Altersgruppen in unterschiedlichen Lebenslagen in rund 89 Einrichtungen im Evangelischen Kirchenkreis Minden.
Die Komplexität unserer Diakonie war der Auslöser unserer Überlegungen. Die Größe und Vielfältigkeit unserer Dienstgemeinschaft ist eine unserer Stärken und zugleich eine Herausforderung: Alle Unternehmensbereiche müssen wirkungsvoll zusammenarbeiten, um unsere Unternehmensziele zu erreichen. Hier waren die Abläufe im Unternehmen nicht immer sinnvoll, schon gar nicht effizient. Zudem passte eine stark hierarchische Führungskulturnicht zu einer zukunftsorientierten Organisation, die Markt- und Kundenbedarfe in den Fokus rückt. So haben im Jahr 2016 mein Kollege Thomas Lunkenheimer und ich die Entscheidung getroffen, ein anderes Führungsverständnis zu implementieren. Das Konzept der „Agilen Organisation“ ist für uns der Ansatz, der dabei hilft, den heutigen und zukünftigen Anforderungen gerecht zu werden, damit Unternehmensziele erreicht werden können.
Bitte skizzieren Sie kurz die wesentlichen Kennzeichen eines agilen Sozialunternehmens?
Christian Schultz: Agilität steht für „Beweglichkeit“. „Agilität“ ist zudem ein Managementansatz. Im Mittelpunkt steht dabei, wie Organisationen mit Veränderungen umgehen.
Bei agilen Arbeitsweisen gelten verschiedene Grundsätze:
- Auf Veränderungen wird flexibel und aktiv reagiert.
- Impulse für Veränderung gehen von Kundenwünschen und Marktbedarfen aus.
- Selbstorganisiertes und eigeninitiatives Arbeiten ersetzt langwierige Entscheidungswege
- Mitarbeitende sind der Antrieb der Veränderung, denn sie haben den Kontakt zum Kunden.
- Veränderungen werden schrittweise, gemeinsam, hierarchieunabhängig und kreativ entwickelt.
Welches sind Ihre übergeordneten Ziele dieses Change-Prozesses?
Christian Schultz: Wir wollen uns als Unternehmen in die Lage versetzen, flexibel und innovativ auf veränderte Situationen reagieren zu können, innovative Lösungen für Kundenprobleme zu entwickeln und Marktbedarfe besser zu erfüllen. Die Aufgabe als agiles Sozialunternehmen zu handeln verstehen wir nicht als „einmalige Sache“, sondern als Prozess, genauer als Organisationsentwicklungsprozess. Eine fortwährende Organisationsentwicklung ist notwendig, weil sich Kundenbedarfe, Marktbedingungen und auch Bedürfnisse von Mitarbeitenden kontinuierlich verändern. Ein Unternehmen, das sich trotz veränderter Umstände nicht immerzu weiterentwickelt, verbessert und modernisiert, kann auf Dauer seine Ziele nicht erreichen.
Wir möchten als agile soziale Organisationen aus unseren Routinen so viel Energie schöpfen, dass wir laufend Veränderungen vorantreiben und damit eine Grundfitness für Agilität aufbauen. Fitte Organisationen brauchen nicht so viel Zeit für Veränderungen, weil klar ist, wer was wann tut.
Welche Rolle spielt die Einbindung der Mitarbeitenden in den Prozess?
Christian Schultz: Unsere Mitarbeitenden sind der Antrieb der Veränderung! Von daher ist eine Einbindung der Mitarbeitenden grundlegend. Wir wollen allen Mitarbeitenden ermöglichen, kreativ und hierarchieunabhängig neue Wege in der Arbeit zu gehen, um miteinander gute Lösungswege zu erarbeiten und Erfahrungen auszutauschen. Wir wollen uns verabschieden von langwierigen Genehmigungsritualen über mehrere Hierarchieebenen, die keine Entscheidungen bringen und dazu führen, dass gute Ideen lediglich Ideen bleiben. Wir wollen uns auch verabschieden von internen Prozessen, die nicht schlanker, sondern im Verlauf der Zeit bürokratischer geworden sind.
Welche pragmatischen Lösungen oder Methoden haben Sie für eine nachhaltige Verankerung Ihrer Ziele?
Christian Schultz: In unserem „Kompass“ der Diakonie Stiftung Salem haben wir die wichtigsten Punkte veranschaulicht. Mission, Führungsprinzipien, Leitbild und unser Weg geben Auskunft über unser Selbstverständnis und beantworten diese Fragen: Wofür stehen wir als Organisation? Welche Werte und Prinzipien leiten unser Handeln? Wofür stehen wir als Gemeinschaft? Was wollen wir gemeinsam erreichen? Zudem haben wir praxisorientiert folgende Punkte abgearbeitet:
- Rollenbeschreibungen, die Aufgaben und Befugnisse definieren
- Entscheidungskompetenzen sind neu festgelegt.
- Prozesse sind, entsprechend der Rollenbeschreibungen, organisiert.
- Kommunikations- und Arbeitsstrukturen sind im Detail beschrieben.
Zudem haben wir eine transparente Information zu dem Veränderungsprozesses auf unterschiedlichen Kanälen für die Mitarbeitenden sichergestellt.
Welche Chancen bietet ein agiles oder dynamisches Unternehmen seinen Mitarbeitenden?
Christian Schultz: Neben einer veränderten Unternehmensorganisation müssen wir zudem unsere Denk- und Handlungsweise in Bezug auf Führung anpassen. Wir wollen uns von einem vorgebenden hin zu einem coachenden, unterstützenden, moderierenden Stil von Führung entwickeln Es geht in Zukunft darum, Mitarbeitende darin zu unterstützen, selbstständig im Sinne des Kunden zu handeln. Das bietet auch große Chancen für die Mitarbeitenden:
- Mehr eigenverantwortliches Arbeiten, weniger Vorgaben
- Mehr Motivation, weniger Hierarchie
- Mehr Vertrauen, weniger Reibungsverluste
- Besseres Verständnis für die Notwendigkeit des OE-Prozesses
- Veränderungen aktiv mitgestalten
Auf welche Stolpersteine sind Sie gestoßen?
Christian Schultz: Zum Teil standen Mitarbeitenden dem Prozess skeptisch gegenüber. Veränderung verunsichert Mitarbeitende. Verunsicherung und Ängste müssen ernst genommen werden. Sicherheit geben Führungskräfte, die immer gesprächsbereit und offen für Fragen sind.
Was wünschen Sie sich von Ihren Führungskräften und MitarbeiterInnen?
Christian Schultz: Ein Vertrauensvorschuss ist wichtig. Das geht zwangsläufig einher mit einer Neuausrichtung der Unternehmenskultur. Wo bisher Hierarchie und Kontrolle bestimmend waren, rücken Agilität, Partizipation und Vertrauen nach. Kurzum: Mit der neuen Form der Führung ändert sich die Sichtweise auf Zuständigkeiten und das Rollenverständnis aller Beteiligten. Offenheit und Veränderungswillen sind dabei unerlässlich. Auch wenn die Umstellung zäh und anstrengend ist – langfristig lohnt sie sich. Denn letztlich ergreifen wir damit schon heute die Chance, uns fit für das zu machen, was morgen auf uns zukommt.
Wie beeinflusst Ihrer Ansicht die Agilität den wirtschaftlichen Unternehmenserfolg?
Christian Schultz: Ein Unternehmen, das sich trotz veränderter Umstände nicht immerzu weiterentwickelt, verbessert und modernisiert, kann auf Dauer seine Ziele nicht erreichen oder am Markt bestehen. Unsern Organisationsentwicklungsprozess „DSS Agil“ verstehen wir auch als Rahmen für einen nachhaltigen wirtschaftlichen Unternehmenserfolg.
Herr Schultz, was haben Sie selbst aus dem Wandel Ihrer Organisationsstruktur hin zu einem agilen Sozialunternehmen gelernt?
Christian Schultz: Ich sehe die Diakonie Stiftung Salem sinnbildlich als Schiff, als „DSS Agil“.
Alle in einem Boot, wir sind ein großer Tanker, der die Spur hält und Beiboote, die schnelle Einsatzfahrten durchführen können. Ansonsten ist mir das Bild vom Luftschiff lieber, da ich leidenschaftlich gern fliege und hier auch gerne die Vogelperspektive einnehme. Diese Vogelperspektive ist auch immer wichtig im Rahmen eines solchen Organisationsentwicklungsprozesses, systemisch auf die Organisation zu schauen.
Zudem hat uns unser „DSS-Kompass“ sehr dabei geholfen, die Transformation auf den Weg zu bringen und am „Laufen“ zu halten. Transparenz, Veränderungswille, Umgang mit Wiederständen und auch der gute Wille zur Veränderung waren ein großes Lernfeld für mich.
Herr Schultz, vielen Dank für das Interview!
Weitere Information: https://diakonie-stiftung-salem.de/
Christian Schultz ist Teilnehmer am Expertenkreis der neutralen Veranstaltungs- und Publikationsplattform WiBU Kompetenztransfer und in diesem Rahmen auch als Referent tätig.