Liebe Frau Heinrichs, Sie sprechen in Ihrem Statement von einem „Rückschlag“, der aber ein Grundproblem verdeutlicht. Wie hat diese Ablehnung Sie persönlich und Ihr Team bei LINDERA beeinflusst?
Diana Heinrichs: Das ist ein herber Rückschlag – sowohl emotional als auch unternehmerisch. Vier Jahre intensive Arbeit fließen in diesen Antrag. Wir waren in DiGA-Beratungen, wo uns explizit gesagt wurde, dass Pflegebedürftigkeit zwar eine Indikation sei, aber damit keine DiGA möglich wäre. Die Empfehlung war, die DiPA-Schiene zu wählen. Jetzt, nach all dem Aufwand, heißt es plötzlich, dass unsere Lösung auch keine DiPA sein kann.
Das fühlt sich an wie in Asterix erobert Rom: Wir rennen Formular A38 hinterher. Wenn es im Ablehnungsbescheid klare Hinweise gäbe, was wir falsch gemacht haben, könnten wir das korrigieren. Aber die Aussage, dass wir nichts mit einer DiPA zu tun haben sollen, ist für uns nicht nachvollziehbar.
Trotzdem glauben wir fest an unsere Mission – und arbeiten daran.
Bis 2030 wird niemand mehr Sturzrisiken Pi mal Daumen einschätzen müssen. Wir können Stürze systematisch verhindern und Leben verändern.
Sie haben Pioniergeist erwähnt. Was motiviert Sie trotz solcher Rückschläge, weiter an innovativen Pflegeanwendungen zu arbeiten?
Diana Heinrichs: Die Rückmeldungen von Angehörigen, Pflegebedürftigen und Pflegekräften motivieren uns enorm. Zu sehen, wie unsere App und die zugrunde liegende KI immer mehr Anwendungsbereiche findet – in der Geriatrie, in den Niederlanden, Österreich und auch in der Wissenschaft – ist ein großer Antrieb. Unsere Technologie wird zunehmend von anderen Medizinproduktherstellern genutzt. Dieser Impact zeigt, dass wir auf dem richtigen Weg sind.
Welche konkreten Punkte hat das BfArM in Ihrem DiPA-Antrag bemängelt, und wie beurteilen Sie diese Kritik?
Diana Heinrichs: Wenn die DiPA von der Theorie in die Praxis eingeführt werden soll, sehen wir drei Punkte, um die das Verfahren auf die Pflegerealität angepasst werden muss:
- Pflege ist eine multifaktorielle Realität: Es wurde bemängelt, dass nicht alle Faktoren – wie Sturzberatung oder die bestehende Pflegesituation – vollständig kontrolliert seien. Dabei sind diese gesetzlich vorgegeben und Teil jeder Pflegepraxis. Unsere Ergebnisse zeigen eine signifikante Reduktion von Sturzrisiken.
- Die pflegefachliche Kompetenz fehlt im DiPA-Verfahren bisher: Ohne pflegefachliche Expertise bleibt der Bewertungsprozess einseitig und realitätsfern.
- Technologieoffenheit: Obwohl die DiPA-Gesetzgebung technologieoffen formuliert ist, wird sie in der Praxis des DiPA-Antragsverfahrens auf vorgefertigte Anforderungen reduziert.
Inwiefern ist Ihrer Ansicht nach das Bewertungsverfahren des BfArM ungeeignet, um Anwendungen wie Ihre Mobilitätsanalyse zu beurteilen?
Diana Heinrichs: Das Bewertungsverfahren widerspricht der Pflegepraxis.
Pflege ist kein isoliertes System wie die Medizin, sondern von multifaktoriellen Realitäten geprägt. Deshalb braucht es die Einbindung von Pflegewissenschaften und eigene Gremien, die solche Lösungen bewerten.
Ähnlich wie der Leitspruch „No taxation without representation“ sollte hier gelten: „Keine Bewertung ohne Pflegevertretung.“
Wie sollte ein realistisches Bewertungssystem für digitale Pflegeanwendungen Ihrer Meinung nach aussehen?
Diana Heinrichs: Es braucht:
- Pflegewissenschaftliche Expertise: Pflegeverbände und Wissenschaftler sollten direkt in den Prozess eingebunden werden.
- Pragmatische Bewertungsansätze: Ein Beispiel ist die FDA, die konkrete Empfehlungen liefert. Hierzulande fehlt eine solche Beratungsinstanz.
- Rechtlich bindende Beratung: Unternehmen benötigen klare, verbindliche Leitfäden, um Planungs- und Umsetzungssicherheit zu haben.
Wie planen Sie, auf die Ablehnung des Antrags zu reagieren, und was sind Ihre nächsten Schritte für Lindera?
Wir werden weiter mit Pflegeverbänden und politischen Akteuren sprechen, um die Rahmenbedingungen für digitale Pflegeanwendungen zu verbessern. Gleichzeitig arbeiten wir weiter daran, Sturzrisiken systematisch zu reduzieren – denn der Bedarf ist da, und wir haben die Lösung.
Christine Vogler hat gefordert, dass die Pflege eigene Institute und Gremien aufbauen muss. Wie sehen Sie diese Forderung?
Diana Heinrichs: Diese Forderung unterstütze ich uneingeschränkt. Pflege braucht eine starke, unabhängige Stimme, die die Realität der Praxis kennt und diese in Bewertungsprozessen vertritt. Nur so können wir echte Fortschritte erzielen.
Fotos: LINDERA