Sandra Mantz, gelernte Altenpflegerin und Expertin für achtsame Pflegekommunikation, gehört heute zu Deutschlands führenden Kommunikationsexperten. Sie gilt als Vordenkerin einer dialogorientierten Sprachkultur, die in der Pflege, die betroffenen und professionell pflegenden Menschen, gleichermaßen erreicht. Sie ist CEO der Lakehouse GmbH und Begründerin der Marke SprachGUT®.
Vorwort von Sandra Mantz:
Bevor wir in das Interview einsteigen, möchte ich vier wesentliche Begriffe erklären, die Sie in den Antworten immer wieder finden werden: rational, emotional, transformativ und spirituell. Diese Begriffe stehen für verschiedene Ebenen der Kommunikation, die uns helfen, die Perspektiven zu wechseln, Pflegebedürftigen besser zu verstehen und auf ihre Bedürfnisse eingehen zu können. Einfühlungsvermögen erfordert eine bewusst zugewandte Grundhaltung, um die Bedeutungswelt eines Menschen, der in einer gänzlich anderen Welt unterwegs ist als ich, erahnen und erfassen zu können. Ihnen viel Freude und Entdeckergeist!
Rational: Die rationale Ebene ist die, die sich auf das Logische und Objektive konzentriert. In der Pflege geht es hierbei um die äußeren Umstände und Fakten: Was sieht, erkennt, hört der Pflegende in der aktuellen Gesprächssituation? Fakten, Tatsachen, Greifbares aufnehmen, um nachvollziehbare Entscheidungen zu treffen und Kommunikationsmöglichkeiten aufzugreifen.
Emotional: Die emotionale Ebene bezieht sich auf die Gefühle, die in jedem zwischenmenschlichen Gespräch präsent sind. Emotionen spielen eine entscheidende Rolle, weil sie Nähe und Verständnis ermöglichen und unser Mensch sein fühlbar machen. Indem wir uns bewusst auf die Gefühle des Pflegebedürftigen einlassen und auch unsere eigenen Gefühle reflektieren, können wir eine tiefere Verbindung schaffen und für beide Seiten heilsame Impulse und zwischenmenschliche „Nahrung“ bieten.
Transformativ: Die transformative Ebene beschreibt die Wirkung auf der Bewusstseinsebene, die durch Begegnungen entsteht. Kommunikation auf dieser Ebene bedeutet, dass sowohl der Pflegende als auch der Pflegebedürftige durch die Interaktion berührt und inspiriert werden kann. Es geht darum, die Interaktion selbst, als eine Gelegenheit zur persönlichen Weiterentwicklung sehen zu können. Der Verstand zählt nicht.
Spirituell: Die spirituelle Ebene bezieht sich auf das tiefere, nicht immer greifbare Verständnis zwischen Menschen. In Gesprächen mit demenziell veränderten Menschen bedeutet das, ihn als Ganzes zu sehen und zu verstehen, dass jeder Mensch eine innere Welt hat, die weit über das Offensichtliche hinausgeht. Auf dieser Ebene kann Kommunikation eine heilende Wirkung haben, indem sie auf einer tieferen, seelischen Ebene stattfindet. Die Grenze zwischen Diesseits und Jenseits ist schmal und immer gegenwärtig. Im Gespräch „zwischen den Welten“, wenn der Mensch geistig Raum und Zeit verlässt, wiegt die geistige Information mehr, als die stoffliche Realität.
Diese vier Ebenen begleiten uns durch das gesamte Interview und machen die Vielschichtigkeit der Kommunikation in der Pflege individuell. Die Beteiligten selbst entscheiden! Deren Bewusstheit, Wachheit und Ethik ist Basis für die bewusste und achtsame Art der Pflege, die wir im Alltag leben können.
Ein Sprichwort besagt: „Gehe hundert Schritte in den Schuhen eines anderen, wenn du ihn verstehen willst.“ Welche Voraussetzung (oder welche Haltung?) muss gegeben sein, um in die Schuhe des anderen zu schlüpfen, auch wenn die fremden Schuhe vermeintlich nicht passen, zum Beispiel, wenn die Schuhe einer pflegebedürftigen Person gehören?
Sandra Mantz: Meine rationale Antwort lautet: Um in die Schuhe eines anderen zu schlüpfen, bedarf es vor allem der Entscheidung für Empathie und der Bereitschaft, sich auf die Welt des anderen einzulassen. Das bedeutet, die eigenen Erwartungen loszulassen und die Wahrnehmung des Pflegebedürftigen anzunehmen, ohne zu bewerten oder zu korrigieren. Es braucht Wissen, Können, persönliche Stabilität und Zeit für den Gesprächsführenden.
Emotional sage ich: In meiner Arbeit habe ich erlebt, wie wertvoll es für Pflegebedürftige ist, wenn wir wirklich zuhören. Frau Heller, die immer wieder dieselben Geschichten erzählte, fand Trost darin, dass ich sie nicht unterbrach, sondern ihre Welt mit ihr teilte, wieder und wieder. Es ging nicht darum, ob ihre Geschichte real war, sondern darum, dass sie sich gesehen und gehört fühlte.
Meine transformative Antwort ist folgende: Durch das Eintauchen in die Wahrnehmungswelt der Pflegebedürftigen erfährt auch der Pflegende eine persönliche Veränderung. Es ist ein vertrauensintensiver Moment, in das Herz, die Sehnsucht, die Liebe und auch die Traurigkeit im anderen erkennen zu dürfen. In der Welt des pflegebedürftigen Menschen ist all das real und lebendig. Diese Offenheit führt zu einer tiefen menschlichen Verbindung, die das Verständnis füreinander vertieft und Mitgefühl stärkt und großen Respekt einfordert.
Und spirituell gesehen: bedeutet es, sich auf die Seele des anderen einzulassen und eine tiefere Verbindung zu schaffen. Bei Frau Heller spürte ich, dass ihre Geschichten ein Ausdruck ihres inneren Lebens waren. Erinnerungen, die bruchstückhaft und dennoch für sie von allergrößter Bedeutung waren. Vergangenes Leben in die Gegenwart geholt. Ernstnehmen und nicht recht haben wollen ist hier der größte spirituelle Schlüssel. Achtung vor dem Leben des anderen. Dankbar sein für die Einblicke und mitschwingen. Tiefster Schmerz, größte Sehnsucht. Indem ich sie anhörte, durfte ich an diesem Teil ihrer Seele teilhaben.
Sprach- und Dialogkompetenz: Wenig sprechen, mehr hinhören. Gesagtes wiederholen, nicken, nachfragen stärken das Vertrauen und bekräftigen das echte Interesse. Jede Floskel wirkt störend und zuweilen zerstörend. Die Kunst liegt darin, die Worte zu hören und das Gemeinte zur Sprache zu bringen. Verbalisieren von emotionalen Inhalten ist die Aufgabe, sagen die Profis. Genau hinhören und den Sinn (nicht das wörtliche), in eigene Worte fassen, empfehle ich allen Pflegenden und pflegenden Angehörigen. Einfach zugewandt, interessiert und menschlich sein. Die Haltung ist entscheidend.
Was passiert mit uns als Pflegende, wenn wir uns darauf einlassen, in die Wahrnehmung der Pflegebedürftigen einzutreten?
Sandra Mantz: Ich beginne wieder mit der rationalen Ebene: Wenn Pflegende sich auf die Welt der Pflegebedürftigen einlassen, entwickeln sie eine tiefere Sensibilität für die Bedürfnisse und das Wohlbefinden der Person. Dies führt zu einer individuellen und bedürfnisorientierten Begegnung, da wir lernen, auch auf kleinste Signale zu achten, die oft über das hinausgehen, was direkt gesagt wird. Diese erhöhte Achtsamkeit ermöglicht viel Menschlichkeit und Echtheit. Zeit spielt dann immer weniger eine große Rolle.
Auf emotionaler Ebene lautet die Antwort: Ich werde selbst berührt und aufgefordert mit dem mir geschenkten Vertrauen achtsam und diskret umzugehen. Ich reife in meiner Persönlichkeit, lerne auch, mich mehr zu reflektieren und darf erfahren, dass die realen Geschichten eines Lebens kognitiv vergänglich sind, emotional nicht. Was sagt mir das über meine eigenen Emotionen? Indem ich mich auf die Wahrnehmung von Frau Heller einließ und ihre Geschichten nicht nur hörte, sondern in Teilen empfinden konnte, entstand eine emotionale Nähe, die von Vertrauen erzählte und von Menschlichkeit. Das ist Leben. Emotionen sind selten erklärbar, jedoch fühlbar. Diese Verbindung veränderte meine Sichtweise auf die Pflege generell. Es wurde mir klar, dass es um weit mehr als physische Unterstützung geht – es geht um eine emotionale und seelische Begleitung, die insbesondere für den pflegebedürftigen Menschen, wie eine Art Medizin sein konnte. Ein Lächeln, ein Durchatmen oder ein Augen-Blick spiegelten mir eine Art „Beweis“.
Folgende transformative Antwort möchte ich geben: Raus aus der Kontrolle, rein in ein echtes Trauen. Raus aus der Angst vor Gefühlen, rein in den Fluss des menschlichen Daseins. Schwimmen lernen ist angesagt. Schwimmen im Fluss der Emotionen. Vorbereitet und gefestigt sein. Die seelische Hand halten, begleiten im Feinstofflichen und Nichtgreifbaren. Das Eintauchen in die Welt der Pflegebedürftigen öffnet die eigene Türe von Leben und Sterben. Darum geht es. Durch diese Begegnungen lernen wir, Demut, Geduld, Mitgefühl und Achtsamkeit zu vertiefen. Jede Pflegesituation bietet uns die Chance, innerlich zu wachsen und uns weiterzuentwickeln. Diese Transformation ist oft der Beginn einer neuen, erfüllenderen Pflegepraxis.
Auf der spirituellen Ebene erleben wir eine stille, oft unsichtbare Kommunikation. Wie denke ich über diese Person, wie rede ich über sie in ihrer Abwesenheit? Der tiefere Sinn von Leben erschließt sich im Sein. Darf der andere sein, wie er ist oder greife ich lieber ein, damit es mir besser geht? Spirituell gesehen, wäre dies eine klare Grenzüberschreitung in das Leben des anderen. Mein Ego sollte gefestigt sein, bevor ich meine Macht (etwas machen können), missbrauche.
Sprach- und Dialogkompetenz: Sensibel im Wort und stark in der inneren Haltung. Sich wie ein Gast im Hause des anderen zu benehmen ist eine ganz schöne Beschreibung für den Einstieg in ein vertrauensvolles Gespräch: Worte, wie Danke, Bitte, sich vorstellen, einander mit Namen ansprechen, ein „Guten Morgen“ und „Auf Wiedersehen“, Anklopfen, ausreden lassen, sind Grundregeln im respektvollen zwischenmenschlichen Dialog. Dialekte, Akzente, Persönlichkeit – alles erlaubt. Echtheit ist wichtig!
Was können Pflegende daraus lernen?
Sandra Mantz: Rational gesprochen: Pflegende lernen, dass es in der Pflege nicht nur um die physische Versorgung geht, sondern um eine ganzheitliche Betreuung, die auch die emotionalen und seelischen Bedürfnisse einbezieht. Das Verstehen der Wahrnehmung des Pflegebedürftigen hilft uns, eine individualisierte Pflege zu gestalten, die den Menschen als Ganzes anspricht. Seele und Geist eines Menschen sind nicht trennbare Aspekte des menschlichen Lebens. Sie brauchen Nahrung, Reinigung und Pflege, wie der physische Körper auch.
Auf emotionaler Ebene: Ich habe von Frau Heller gelernt, dass das einfache Zuhören manchmal der wertvollste Beitrag für eine gute Begegnung, für ein gutes Gespräch ist. Sie wollte, dass ihre Geschichten gehört und geglaubt werden. Diese Erfahrung hat mir gezeigt, wie viel Bedeutung in den Erinnerungen liegt, die Menschen immer wieder teilen. Indem ich ihr zuhörte, konnte ich einen Raum der Sicherheit und des Vertrauens schaffen und ihren Selbstwert stärken.
Transformativ: Pflegende lernen, dass Kommunikation nicht nur aus dem Geben besteht, sondern auch aus dem Empfangen. Jede Begegnung ist eine Chance, tiefer zu verstehen, was es bedeutet, ein Mensch zu sein. Diese transformierenden Momente führen zu einer Erweiterung unseres Bewusstseins und unserer Fähigkeit, auf eine tiefere, authentischere Weise zu kommunizieren.
Spirituell: Sie können erkennen, dass ein Körper, ganz gleich wie alt oder gebrechlich er geworden ist, immer belebt sein kann, wenn die Seele atmen darf. Berührung, lächeln, schweigen, in die Augen blicken, den Blick halten können. Gemeinsam Atmen ist etwas sehr, sehr bewegendes tief im Herzen. Eine spirituelle Erfahrung, die in Erinnerung bleibt.
Sprach- und Dialogkompetenz: Eine achtsame und reflektierte Sprache ist entscheidend in der Pflege. Pflegende lernen, wie wichtig es ist, klar und wertschätzend zu sprechen, um Vertrauen aufzubauen und Missverständnisse zu vermeiden. In meinem Buch „Pflegegespräche richtig führen“ und meinem Kartenset „Achtsame und stärkende Sprache im Beruf“ vermittle ich, wie Pflegende diese Dialogkompetenz entwickeln können. Worte wählen, deren Bedeutung und Ursprung kennenlernen, Sprachroutine entlarven und bewusst sprechen in bestimmten Situationen, macht den Profi aus.
Welche Veränderungen treten bei den Pflegebedürftigen selbst ein?
Sandra Mantz: Rational gesehen: Wenn Pflegebedürftige das Gefühl haben, dass sie gehört und verstanden werden, führt dies oft zu mehr emotionaler Stabilität und weniger Angst. Ihre Lebensqualität verbessert sich, da sie spüren, dass sie nicht nur versorgt, sondern in ihrer ganzen Person wahrgenommen werden.
Emotional: Als ich mich auf Frau Hellers Geschichten einließ und sie ernst nahm, merkte ich, wie sie ruhiger wurde. Sie fühlte sich sicherer und zeigte mehr Zufriedenheit. Bestärkt und ermutigt können sie aufgeschlossener werden für die Gestaltung des Alltages, für Begegnungen und Aktivitäten die Freude machen. Vielleicht lachen sie mehr, essen lieber und nehmen insgesamt mehr am Geschehen teil. Diese emotionale Sicherheit, die durch bewusste Kommunikation entsteht, kann für Pflegebedürftige von unschätzbarem Wert sein.
Transformativ: Pflegebedürftige, die spüren, dass ihre Wahrnehmung akzeptiert wird, erleben oft eine tiefe innere Ruhe. Sie müssen nicht um Aufmerksamkeit ringen und dürfen endlich nur sein. Die Akzeptanz ihres inneren Erlebens gibt ihnen das Gefühl, in Ordnung zu sein, und schafft eine Atmosphäre des Vertrauens. Diese transformative Wirkung ist heilsam und kann ihr Wohlbefinden erheblich steigern.
Spirituell: Jedes Wort wirkt immer und unmittelbar. Gedacht, gefühlt, gesprochen und geschrieben. Es löst Bilder in unseren Köpfen aus und verbindet sich in Bruchteilen von Sekunden mit den Emotionen, die in uns Menschen schlummern und gespeichert sind. Unabhängig davon, ob jemand daran glaubt oder nicht, schwingt in jeder Silbe, jedem Buchstaben eine Frequenz, eine Art Stimmung, die uns Kraft gibt oder nimmt. Der Pflegebedürftige Mensch spürt all das sehr viel intensiver, da er im Außen nicht mehr so viel Ablenkung hat.
Sprach- und Dialogkompetenz: Die Worte, die noch fehlen können durch Pflegende ausgesprochen werden. Das Nichtgesagte in Worte fassen. Hören trainieren ist ein großer Fokus in meinen Schulungen und Trainings. Wirklich gut hinhören können ist Gold wert, spart Zeit, Nerven und bringt vieles auf den Punkt, was wichtig und von Bedeutung ist. Den Wortschatz erweitern, die Stimme lenken und Pausen aushalten sind wunderbare Methoden für lebendige Gespräche. Pflegende können durch bewusste Sprachwahl einen Raum schaffen, in dem der Pflegebedürftige sich sicher und geführt fühlt. Dies ist ein Schwerpunkt in meinen Schulungen und Trainings.
Menschen mit Demenz haben ihre ganz eigene Wahrnehmungswelt, die uns nicht selten verschlossen bleibt. Wie können es Pflegende schaffen, in diese besonderen Schuhe zu schlüpfen?
Sandra Mantz: Rational: Hier endet jede Rechthaberei der irdischen, materiellen Welt. Pflegende müssen die Welt von Menschen mit Demenz als deren eigene Realität und Wahrheit akzeptieren. Es geht nicht darum, diese zu korrigieren, sondern sich darauf einzulassen, dass die Pflegebedürftigen in einer anderen Zeit und einem anderen Raum leben. Das erfordert Geduld, Einfühlungsvermögen und Achtsamkeit.
Emotional: Ich erinnere mich, wie ich lernte, Frau Hellers Geschichten so zu akzeptieren, wie sie waren – ohne sie zu hinterfragen. Dadurch entstand für mich eine Art Neugierde, wie die Geschichte in Frau Heller weiterlebte. Sie spürte, dass ich bereit war, ihre Realität anzuerkennen, und dies schuf Vertrauen und eine besondere Verbindung. Sie erzählte viel und manchmal so viel, dass sie vergaß, von was sie erzählte. Die Emotionen allerdings waren alle ausgesprochen, gelebt und geachtet. Wundervoll.
Transformativ: Das Eintauchen in die Welt von Menschen mit Demenz führt zu einer tiefgreifenden Veränderung in unserer Wahrnehmung. Wir lernen, dass es nicht nur eine richtige Realität gibt, sondern dass jeder Mensch seine eigene Wahrheit hat, manchmal sogar viele Wahrheiten. Diese Erkenntnis erweitert unseren Horizont und ermöglicht eine authentische Begegnung. Sie stimmt milde, lädt zum Loslassen und herzhaften Lachen über sich selbst ein.
Spirituell gesehen betreten wir einen heiligen, scheinbar schutzlosen Raum, wenn wir uns auf die Welt von Menschen mit Demenz einlassen. Indem wir ihre Wahrnehmung anerkennen, lernen wir, im Moment zu sein und uns von Urteilen zu lösen. Diese Erfahrung kann tief heilend sein – sowohl für die Pflegebedürftigen als auch für uns.
Sprach- und Dialogkompetenz: In meinen Schulungen lehre ich, wie wichtig es ist, nicht nur auf das Gesagte, sondern auch auf das Ungesagte zu achten. Die nonverbale Kommunikation – wie Blicke, Berührungen und Mimik – spielt eine zentrale Rolle im Umgang mit Menschen mit Demenz. Atmen, Berührung, Musik und Klänge, Erinnerungen, Tanz, Farben, Gerüche, Tonlage, Stimmmelodie, Stoffe und Materialien … es gibt so viele Türen in die Welt der demenziell veränderten Menschen. Sie haben alle dasselbe Ziel: Kommunikation für gute Begegnungen von Mensch zu Mensch.
Welche positiven Effekte können daraus resultieren – für die Pflegenden und die von Demenz betroffenen Menschen?
Sandra Mantz: Aus rationaler Sicht: Wenn Pflegende die Welt von Menschen mit Demenz annehmen, sinkt der Stresspegel, da der Druck, eine „normale“ Realität aufzuzwingen, wegfällt. Die Pflege wird sanfter, entspannter und fördert das individuelle Wohlbefinden der Betroffenen.
Emotional: Ich denke an die stillen Momente, in denen ich mit Frau Heller einfach in ihrer Welt verweilte, ohne viel zu sagen. Diese Ruhe schuf eine emotionale Verbindung, die uns beiden Frieden brachte. Es ist dieser stille Raum, der durch achtsame Kommunikation entsteht. Tiefe und Sinn des Lebens werden erfahrbar. Verzeihen und Nachsicht werden leichter möglich, denn das eigene Ego tritt beiseite.
Transformativ: Für beide Seiten entsteht mehr Vertrauen, wenn man aufhört, die Realität des anderen zu verändern oder „gerade zu rücken“ und stattdessen lernt, sie zu akzeptieren. Pflegende spüren weniger Druck, und Demenzkranke erleben eine authentische Begegnung. Diese Transformation führt zu einer harmonischen Beziehung, die von Verständnis und Mitgefühl geprägt ist.
Spirituell: Keine Erwartungen zu haben ist eine sehr spirituelle Erfahrung. Nichts tun, nur beobachten. Diese Energie beruhigt den Geist und das Herz. Wir Menschen sind einfach glücklicher.
Sprach- und Dialogkompetenz: Kleines Wortlexikon für eine sensibilisierte Sprache im Umgang mit demenziell veränderten Menschen:
Aber – Dieses Wort weckt Trotz und Widerstand. Rebellen wachen auf.
Weil – Diese Wort fordert Rechtfertigung und weckt das Gefühl von Vorwürfen.
Später, kurz, gleich – Diese Worte sind oft Floskeln, die zu Unruhe und Unmut führen können.
Müssen – dieses Wort macht Druck, aktiviert Fremdbestimmung und ermahnt erwachsene Menschen, möglichst nicht zu widersprechen.
Wie kann Pflegepersonal sensibilisiert bzw. geschult werden, sich auf die Wahrnehmungsebene von pflegebedürftigen Menschen einzulassen?
Sandra Mantz: Rational betrachtet: Pflegepersonal kann durch gezielte Schulungen und Trainings sensibilisiert werden. In meinen Schulungen wie dem „Rigorosum Care Day“ oder dem „New Worker Hotspot“ lernen Pflegende Techniken wie aktives Zuhören, emotionale Reflexion, Entlarvung von Macht- und Psychospielen von Erwachsenen und empathische Kommunikation. Diese Schulungen ermöglichen es ihnen, die Perspektive der Pflegebedürftigen einzunehmen und sich auf deren Wahrnehmungsebene einzulassen.
Die emotionale Ebene: In meinen Trainings ermutige ich Pflegende dazu, nicht nur Aufgaben abzuarbeiten, sondern sich wirklich auf die Menschen einzulassen, auch auf sich selbst. Dieses emotionale Verstehen verändert das gesamte Pflegeverständnis und führt zu echteren Begegnungen zwischen Pflegenden und Pflegebedürftigen. Diese wiederum stärkt den Sinn des eigenen Tuns und gibt beiden Seiten Kraft.
Meine transformative Antwort: Pflegende, die in der Kommunikation geschult werden, erleben oft eine tiefgreifende Veränderung in ihrer Wahrnehmung. Sie lernen, sich auf die Wahrnehmungsebene der Pflegebedürftigen mehr und mehr einzulassen und dadurch eine große Selbstwirksamkeit aktivieren. Diese Schulungen eröffnen neue Wege für ein respektvolles Miteinander in Teams und kultivieren den zwischenmenschlichen Umgang erheblich.
Spirituell gesehen sind diese Schulungen eine Möglichkeit, die Pflege als spirituelle Praxis zu sehen. Jede Begegnung mit einem pflegebedürftigen Menschen wird zu einer Gelegenheit, die eigene Seele zu entwickeln. In meinen Schulungen ist Klarheit in der Sprache bedeutungsvoll. Meint jemand, was er sagt? Es geht um Leben und Tod. Dies fordert viel Einsatz auf allen Ebenen, der für das eigene Leben Gold wert sein kann!
Sprach- und Dialogkompetenz: Eine klare und bewusste Sprache kann in meinen Schulungen erlernt werden. Pflegende lernen, achtsame Gespräche zu führen, die richtigen Fragen zu stellen und nonverbale Zeichen zu interpretieren. Diese Dialogkompetenz ermöglicht es ihnen, echte Verbindungen zu schaffen und die Pflege auf eine tiefere Ebene zu bringen.
Wie lauten Ihre Schlussgedanken zum Interviewthema?
Sandra Mantz: Kommunikation ist weit mehr als der Austausch von Worten – sie ist die Verbindung zwischen Herzen. Wir lernen, authentisch zu sein, die richtigen Worte zu finden und gerade auch in schwierigen Situationen eine Brücke zu bauen. Achtsame Kommunikation ist der Schlüssel zu einer Pflege, die tief berührt und heilt. Meine These:
Die Zukunft der Pflege liegt in einer achtsamen, authentischen Kommunikation. Wer lernt, mit Bewusstheit und Herz zu denken, zu sprechen und zu handeln, wird nicht nur die Pflegequalität verbessern, sondern auch tiefere Verbindungen schaffen – zu den Pflegebedürftigen, zum Team und letztlich zu sich selbst.
Wir danken Ihnen für dieses Interview.
Events und neue Keynote:
Kommen Sie mit auf eine spannende Reise der Kommunikation! Ob am 25. September 2024 beim „Rigorosum Care Day“ https://hotspot.das-lakehouse.de/de-de/rigorosum-care oder am 9. und 10. November 2024 beim „New Worker Hotspot“ https://www.das-lakehouse.de/new-worker-hotspot-2024/
Das dürfen Sie erwarten: praxisnahe Übungen, inspirierende Begegnungen und ein Raum, in dem Sie Ihre Kommunikationsfähigkeiten auf ein neues Level heben können. Sie werden erleben, wie das Gelernte sofort im Alltag wirkt und Ihnen neue, tiefere Verbindungen ermöglicht.
Und: Am 19. September 2024 wird Sandra Mantz‘ ganz neue Keynote „Zwischen den Welten wandeln“ online veröffentlicht. Sie ist kostenfrei und lädt Sie ein, die Welt der sehr alten Menschen, die geistig zwischen den Welten wandeln, besser zu verstehen. Lass Sie sich inspirieren und entdecken Sie neue Wege, Menschen weltweit zu berühren. Link zur Keynote: https://www.tobias-beck.com/kkb/2024/sandra