Prof. Christine Nickl-Weller, Dipl.-Ing. Architektin, konzipiert und realisiert seit 1989 Bauten des Gesundheitswesens, der Forschung und der Lehre sowie städtebauliche Entwicklungs- und Masterpläne. Von 2008 bis 2019 war sie Vorstandsvorsitzende der Nickl & Partner Architekten AG mit Standorten in München, Berlin, Zürich, Peking und Jakarta. 2019 hat sie den Vorsitz des Aufsichtsrats der AG übernommen. Als eines der führenden Büros in Deutschland im Bereich der medizinischen Einrichtungen, Kliniken und Forschungsinstitute kann die Nickl & Partner Architekten AG auf zahlreiche nationale und internationale Projekte und Auszeichnungen verweisen. Neben ihrer Tätigkeit bei Nickl & Partner engagiert sich Christine Nickl-Weller in Forschung und Lehre. 

Welche gestalterischen und (innen-)architektonischen Elemente setzen Sie bei Gesundheitsbauten bevorzugt ein?

Prof. Christine Nickl-Weller: Hinter dem Schlagwort Healing Architecture steckt der Gedanke, bei der Planung eines Gebäudes die Gesundheit der Menschen, die sich in dem Gebäude aufhalten werden, im Auge zu behalten. Für Krankenhäuser und Pflegeheime bedeutet dies, die Gesundheit der Patient:innen, Mitarbeiter:innen und Angehörigen in ihrer Gesamtheit zu betrachten, sowohl was ihre körperliche Gesundheit angeht, als auch das psychische und soziale Wohlbefinden. Neben der Sicherstellung grundlegender physischer Bedingungen wie zum Beispiel angemessener, stabiler Temperaturen, einer Beleuchtung, die dem natürlichen Biorhythmus entspricht, einer hygienischen Umgebung oder auch einer Ausstattung, die Verletzungen und Stürze verhindert, müssen daher auch die mentalen und sozialen Bedürfnisse berücksichtigt werden. Wohlbefinden kann nur erreicht werden, wenn Bedürfnissen nach Sicherheit, Kontrolle und Orientierung, nach Privatheit und Interaktion, nach Ruhe oder Aktivierung entsprochen werden. Wenn Angebote geschaffen werden, die dazu beitragen, Stress zu vermindern und zur Ruhe zu kommen.

Es geht also weniger um die Frage, ob eine Wand gelb oder blau gestrichen ist und ob ein Möbelstück rund oder eckig ist, als vielmehr um die Frage, welche Nutzungsmöglichkeiten die angebotenen Räume zulassen und ob sie bestimmte Bedürfnisse unterstützen oder ihnen entgegenwirken.

Wie sollten die öffentlichen und allgemein zugänglichen Bereiche eines Krankenhauses/Pflegeheims idealerweise konzipiert und gestaltet sein?

Prof. Christine Nickl-Weller: In der Regel ist dieser Bereich die Eingangshalle. Diese ist nicht nur die Visitenkarte der Einrichtung, sondern spielt auch eine entscheidende Rolle für den ersten Eindruck und wenn es darum geht, Schwellenängste abzubauen. Ein helles und einladendes Umfeld sowie eine klare Orientierung durch übersichtliche Wegeführung und ein strukturiertes Leitsystem sind besonders wichtig, gerade für Menschen mit kognitiven Einschränkungen. Hier kann tatsächlich Farbe eine Rolle spielen, um die Orientierung im Gebäude zu unterstützen. Noch wesentlicher ist es jedoch, die Bewegung durch das Gebäude mit Licht zu lenken. Alle Flure sollten Zugang zu natürlichem Licht haben, sei es durch Innenhöfe oder indem sie an die Fassade herangeführt werden. Das schafft nicht nur eine freundlichere und vertrauenserweckende Atmosphäre, sondern hilft entscheidend bei der Orientierung. Zudem sollten diese Bewegungsräume durch Sitznischen oder sonstige Aufenthaltsbereiche gegliedert sein, um die Monotonie der langen Flure zu brechen und Möglichkeiten zum Verweilen zu bieten.

Eine zentrale Hauptachse, die als Magistrale fungiert und immer wieder gefunden wird, kann als öffentlicher Raum mit Cafés, Geschäften und guter natürlicher Beleuchtung ein kommunikatives Zentrum des Krankenhauses schaffen.

So bietet sie Patient:innen und Angehörigen außerdem ein Stück Alltagsnormalität und Ablenkung in der Ausnahmesituation eines Krankenhausaufenthalts.

Der runde Eingangshof des Kantonsspital Badens empfängt die Besucher in einer freundlichen Geste (Copyright: Nickl & Partner)

Lichtdurchfluteter Flur in der Rehaklinik des Unfallkrankenhauses Berlin (ukb) (Foto: Werner Huthmacher)

Wie sieht für Sie im Sinne der Healing Architecture ein optimales Patientenzimmer aus?

Prof. Christine Nickl-Weller: Auch hier geht es darum, den unterschiedlichsten Bedürfnissen der Patient:innen Rechnung zu tragen. Die Basics einer sicheren, hygienischen und für das Krankenhauspersonal funktionalen Umgebung müssen zunächst erfüllt sein. Danach können verschiedene Umweltvariablen des Raumes betrachtet werden: Darunter verstehe ich zum Beispiel Faktoren wie Geräuschkulisse und Lichtverhältnisse. 

Die zahlreichen Lärmquellen in Krankenhäusern können zu hohen Lärmpegeln führen, die häufig die von der WHO empfohlenen Grenzwerte überschreiten. Lärm hat Auswirkungen auf den Blutdruck und die Herzfrequenz der Patient:innen, ihre Schlafqualität und ihr Stressempfinden. Bauliche Maßnahmen wie schallschluckende Materialien oder schalldämpfende Einbauten können helfen. Effizienter ist es jedoch, den Faktor Lärm bereits bei der Raumplanung zu berücksichtigen und dem Stress durch Maßnahmen wie Einzelzimmer und Räume für konzentriertes Arbeiten entgegenzuwirken.

Eine ganze Reihe von Studien zeigt auch, dass Licht, sowohl Tageslicht als auch künstliche Beleuchtung, einen positiven Einfluss auf die Genesung und das Wohlbefinden der Patient:innen haben kann.

So konnte in der Studie „The effects of natural Daylight on the Length of Hospital Stay” von 2018 beispielsweise nachgewiesen werden, dass die durchschnittliche Krankenhausverweildauer von Patient:innen, die in einem Bett in Fensternähe lagen, kürzer war, als die einer Kontrollgruppe auf der fensterabgewandten Seite.

Auch die Wirkung von Licht auf die innere biologische Uhr und damit auf den Schlaf-Wach-Rhythmus ist nachgewiesen. Eine tageszeitliche zyklische Beleuchtung, die auch durch künstliches Licht in geschlossenen Räumen erzeugt werden kann, führt daher zu einer Verbesserung des Schlafverhaltens. 

In der Architekturpsychologie werden auch noch eine Reihe weiterer Bedürfnisse diskutiert, wie zum Beispiel das Bedürfnis nach Privatheit oder nach Kontrolle über seine Situation. Bedürfnisse, die mit der Einlieferung in ein Krankhause zumindest teilweise aufgegeben werden müssen, was zu einem Gefühl des Ausgeliefertseins und zu Ängsten führen kann. Architektur kann dem entgegenwirken, zum Beispiel, indem Rückzugsbereiche oder Bereiche für das Zusammentreffen mit Angehörigen geschaffen werden oder wenn die individuelle Handhabung der Raumbelüftung oder -belichtung in den Händen der Patient:innen verbleibt. 

Darüber hinaus trägt der Einsatz hochwertiger Materialien, wie zum Beispiel Holz oder Textilien, dazu bei, Wertschätzung zu vermitteln und Aggressionen bei den Patienten zu verringern. Idealerweise sollte immer das Gefühl entstehen, einen Ort zu betreten, der Fürsorge und Wohnlichkeit ausstrahlt.

Und welche Wirkungen können durch verschiedene Elemente (z. B. Formen, Farben, Licht, Material usw.) bei den Patientinnen und Patienten erzielt werden?

Prof. Christine Nickl-Weller: In der Forschung sind messbare Parameter, die sich positiv beeinflussen lassen, zum Beispiel ein reduzierter Stresslevel, verkürzte Liegezeiten (wie bereits erwähnt), ein besseres Schlafverhalten oder eine frühzeitigere „Aktivierung“ von Patient:innen, also die Anregung zu Bewegung, was in der Regel für die Genesung förderlich ist. Auch eine verringerte Menge benötigter Schmerzmittel bei positiver Ablenkung, die zum Beispiel in Form von Kunstwerken oder dem Ausblick ins Grüne geschaffen wird, konnte ebenfalls in einigen Studien nachgewiesen werden. Hinzukommen „softe“ Faktoren, wie eine verbesserte Kommunikation zwischen Arzt und Patient oder ein als besser empfundenes Wohlbefinden der Patienten. 

Interessant ist, dass eine als positiv empfundene räumliche Umgebung in Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen auch die subjektiv wahrgenommene Qualität der Pflege und Behandlung positiv beeinflussen kann. 

Die Patientenzimmer der ukb-Rehaklinik verfügen über eigene Loggien.  (Foto: Werner Huthmacher)

Wettbewerbsentwurf eines Patientenzimmers für ein Kinderspital. (Copyright: Nickl & Partner)

Wettbewerbsentwurf eines Patientenzimmers. (Copyright: Nickl & Partner)

Durch welche Merkmale sollten sich Mitarbeiterzimmer/-bereiche auszeichnen? Und wie wirken sich diese positiv auf die Mitarbeitenden selbst aus?

Prof. Christine Nickl-Weller: Für die Gestaltung des „Arbeitsplatz Krankenhaus“ stehen vor allem die Fragen im Vordergrund, wie sich Stress reduzieren lässt, wie den Mitarbeiter:innen Ruhe und Erholung ermöglicht wird und wie die Umgebung effiziente Arbeitsabläufe unterstützen kann. Eine Studie aus den 1990er-Jahren hat gezeigt, dass Pflegekräfte fast 30 % ihrer Arbeitszeit mit Laufen verbringen. Daher ist eine effiziente Stationsplanung entscheidend, um das Pflegepersonal zu entlasten. Zentral gelegene Pflegestützpunkte reduzieren Laufwege, während gleichartig strukturierte Stationen Arbeitsprozesse bei einem Wechsel zwischen zwei Stationen erleichtern.

Für Pflegestützpunkte gilt es, die richtige Balance zwischen Offenheit und Geschlossenheit zu finden. Denn einerseits sollte das Pflegepersonal ansprechbar sein und einen guten Überblick über die Station haben, andererseits muss Rückzug und konzentriertes Arbeiten ermöglicht werden.

Ein Wohlgefühl am Arbeitsplatz entsteht nur, wenn man sich nicht ständig exponiert fühlt. Kontrolle über die eigene Situation lässt sich erhöhen, indem die Möglichkeit gegeben wird, den Raum zu überblicken, ohne selbst im Blickfeld aller zu stehen.

Genau wie Patient:innen ist natürlich auch das Personal durch negative Einflüsse, wie zu hoher Lärmpegel oder schlechte Lichtverhältnisse betroffen, was zu Stress und Konzentrationsschwäche, verbunden mit Leistungseinbußen führen kann. Eine ruhige und gut belichtete und belüftete Arbeitsumgebung – und sei es nur in Form von Rückzugsbereichen für Arbeiten, die Konzentration erfordern oder in besonders ausgewiesenen Ruhebereichen – ist also signifikant für eine gesunde Arbeitsumgebung.

Idealerweise sind diese mit Zugang zu geschützten Außenbereichen oder noch besser zu Grünflächen versehen.

Denn Grünräume sind ein zentraler Bestandteil einer gesundheitsfördernden Krankenhausarchitektur sowohl für Mitarbeiter:innen wie natürlich auch für Patient:innen. Die Integration von Natur in das Krankenhausumfeld kann als positive Ablenkung dienen und dazu beitragen, Stress abzubauen.

Das gilt übrigens auch für Blauflächen. Man konnte sogar nachweisen, dass ein Naturbezug im Gebäude die Leistungsfähigkeit des Krankenhauspersonals verbessern und Fehler in Pflege und Behandlung verringern kann.

Grün- und Blauräume unterstützen im Kreiskrankenhaus Agatharied die Genesung. (Foto links: Vieregg Design; Foto rechts: Stefan Müller-Naumann)

Besten Dank für die Beantwortung unserer Fragen.

Porträtfoto Prof. Nickl-Weller: Fotografin Nicole Huminski

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