Dorit Richter, Dipl.-Ing. Architektur, wörner traxler richter planungsgesellschaft mbh sowie AKG Architekten für Krankenhausbau und Gesundheitswesen e. V.: Bereits während ihres Studiums an der TU Dresden und als Werkstudentin bei wörner traxler richter, einem der führenden Architekturbüros im Gesundheitsbau, entwickelte Dorit Richter ihre besondere Leidenschaft für diese Architekturaufgabe. Sie war als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Sozial- und Gesundheitsbauten an der TU Dresden, als Entwurfsarchitektin bei der Karlsruher Planungsgesellschaft für Einrichtungen des Sozial- und Gesundheitswesens und als Projektsteuerin im Klinikbau tätig. Seit nunmehr achtzehn Jahren ist sie bei wörner traxler richter (wtr) für Kommunikation und Marketing zuständig und begleitet hier insbesondere Architekturprojekte im Gesundheitsbau.
Warum hat eine „heilende Lebensraumgestaltung“ mittlerweile eine so bedeutende Rolle? Und – aus Ihrer Sicht – wird Healing Architecture schon ausreichend in Deutschland angewendet?
Dorit Richter: Dass die gestalterische Qualität von Räumen einen direkten Einfluss auf den Genesungsprozess von Patientinnen und Patienten hat, ist schon in vielerlei Studien untersucht und bewiesen worden. Eine gezielte Licht-, Akustik- und Farbgestaltung, das Angebot von Privatsphäre oder der Zugang zu grünen Außenräumen können Stress reduzieren, Schmerzen verringern, den Medikamentenbedarf senken und den Heilungsverlauf beschleunigen. Und: Sie können damit zu kürzeren Liegezeiten, weniger Rückfällen und einer höheren Patientenzufriedenheit führen.
Neben den Patientinnen und Patienten stellen wir bei unseren Planungen aber genauso diejenigen in den Mittelpunkt, die die medizinische und pflegerische Fürsorge erbringen. „Gebaute Wertschätzung“ nennen wir dies und meinen damit die gesellschaftliche Verantwortung, die wir mit unseren Bauten übernehmen.
Ein funktionierender und bedürfnisgerechter Arbeitsort spielt eine große Rolle für die Zufriedenheit des Personals und hat damit einen direkten Einfluss auf die Heilungserfolge und auf die Solidität und Effizienz unseres Gesundheitssystems!
Daher sind die Aspekte von Healing Architecture und das Thema der gebauten Wertschätzung inzwischen nicht mehr nur ein „nice to have“, sondern ein ernstzunehmender Faktor im Planungsprozess.
Erfreulicherweise besteht auch bei unseren Auftraggebern und Planungspartnern der Konsens, dass die gebaute Umwelt einen positiven Einfluss auf das Wohlergehen von Personal und Patienten hat. Trotzdem sind die durch die Förderbehörden streng limitierten Raumprogramme und die begrenzten Budgets natürlich Herausforderungen, mit denen wir umgehen müssen.
Sie sind mit den Projekten NCT-Dresden, Haus M am Städtischen Klinikum Karlsruhe und den Erweiterungsbauten am Uniklinikum Münster für den Healing Architecture Award nominiert: Wodurch zeichnen sich diese Projekte ganz besonders aus? Was sind die gemeinsamen Kernpunkte Ihrer Healing Architecture?
Dorit Richter: Healing Architecture bedeutet für uns, Räume zu schaffen, die das Wohlbefinden der Menschen steigern und speziell während des Aufenthaltes in Krankenhäusern die Genesung und den Heilungsprozess beschleunigen. Wesentliche Entwurfsfaktoren sind dabei eine gute und intuitive Orientierung in einem Gebäude, eine sinnvolle Raumaufteilung, natürliche und haptisch angenehme Materialien und der gezielte Einsatz von natürlichem und künstlichem Licht. Wünschenswert ist auch die Verbindung zur Natur, bestenfalls mit Ausblicken in die grüne Umgebung.
Das ist natürlich nicht in jedem städtebaulichen Kontext möglich, aber schon ein kleiner, begrünter Innenhof kann eine Wohlfühlatmosphäre und einen für die Genesung positiven Effekt erzielen.
Dies wurde bereits 1984 in einer Studie des schwedischen Architekten Prof. Dr. Roger Ulrich nachgewiesen. Die „Ulrich-Studie“ zeigte, dass Patienten mit Blick ins Grüne weniger Schmerzmittel benötigten, seltener verstimmt waren und einen Tag früher nach Hause entlassen werden konnten als die Vergleichspatienten mit Blick auf eine Betonwand.
Beim Nationalen Centrum für Tumorerkrankungen Dresden lag ein besonderer Fokus auf den vielfältigen Aufenthalts- und Kommunikationszonen. Sie ermöglichen niedrigschwellige Begegnungen zwischen den Nutzern aus Medizin, Forschung und Pflege und den Patientinnen und Patienten und ihren Angehörigen in entspannter Atmosphäre. „Angst zu nehmen“, das war hier ein großes Thema! Die bereits genannten intuitiven Orientierungshilfen spielen beim NCT eine große Rolle.
So ist das aus dem Grundriss heraus entwickelte Kleeblattmotiv nicht etwa nur dekorativ, sondern funktioniert im Sinne der Signaletik als Leitsystem und ist identitätsstiftend für das gesamte Gebäude.


Auch beim Haus M am Städtischen Klinikum Karlsruhe war die klare und leichte Orientierung für Patienten, Besucher und Mitarbeiter in dem großflächigen Klinikgefüge entwurfsbestimmend. Besonders herausgearbeitet haben wir diese durch eine individuelle Farbigkeit und Signaletik in Zusammenarbeit mit dem Kommunikationsdesigner Andreas Uebele, dem Künstler Harald F. Müller und dem Philosophen Hannes Böhringer. So positiv besetzte Begriffe wie „zutrauen“, „aufatmen“ und „leben“ begleiten die Menschen durch das Haus – mitsamt ihrer Hoffnung, dass diese Worte auch in dem räumlichen Kontext wahr werden.

Am Universitätsklinikum Münster wiederum sollten – während des laufenden Klinikbetriebs! – Nachverdichtungen und Um- und Erweiterungsbauten einen ebenso funktionalen Klinikbetrieb und gleichzeitig zukunftsweisende Genesungsräume und wertschätzende Arbeitswelten schaffen, wie es reine Neubauten tuen würden. Zufriedenes Personal kommt natürlich den Patienten zugute, und jedes Haus kann hier mit seinen räumlichen Angeboten individuell agieren. Am Uniklinikum Münster wurden beispielsweise die prägnanten Bettentürme um ein weiteres Geschoss aufgestockt. In luftiger Höhe entstand ein Café-Bistro, in dem Patienten und Klinikpersonal gleichermaßen die Lounge-Atmosphäre jenseits des Krankenhausalltages genießen können.


Wie sollten die öffentlichen und allgemein zugänglichen Bereiche eines Krankenhauses/Pflegeheims idealerweise konzipiert und gestaltet sein?
Dorit Richter: Die genannten öffentlichen Bereiche spielen eine zentrale Rolle für das Ersterlebnis.
Ihre Gestaltung sollte Orientierung und Sicherheit, Möglichkeiten zur Begegnung und eine angenehme Atmosphäre bieten – sowohl für Patientinnen und Patienten, Angehörige und Besucher als auch für das Personal.
Dazu gehören ein barrierefreier, klar strukturierter Eingangsbereich mit einer übersichtlichen Rezeption, eine intuitive Wegeführung zu den einzelnen Zielen, zum Beispiel zu den Ambulanzen. Hilfreich sind hier Sichtbezüge, belichtete Flure mit offenen Gang-Enden und Innenhöfe zur Orientierung. Und natürlich braucht es grundsätzlich eine Willkommensatmosphäre mit viel Licht und natürlichen Materialien. Healing Architecture beginnt schon mit dem ersten Schritt, den man in ein Krankenhaus setzt.
Allerdings entstehen die großen idealtypischen Neubauten auf der „grünen Wiese“ immer seltener. Das ist nicht unbedingt bedauernd gemeint: Im Sinne der Nachhaltigkeit müssen wir zukünftig stärker den Umbau und die Ertüchtigung von Bestandsbauten forcieren als nur Neubauten zu planen. Das sehen wir als Krankenhausarchitektinnen und -architekten als eine unserer primären Aufgaben.
Unsere Häuser – egal ob neu geplant oder im Bestand entwickelt – müssen, auch weit in die Zukunft gedacht, allen möglichen Transformationen standhalten und dafür qualitativ hochwertig, robust und äußerst flexibel sein.
Spätere Sanierungen im Bestand sind bereits heute einzuplanen, ebenso ein mögliches Aufstocken von Gebäudeteilen, um die Neuversiegelung von Flächen zu vermeiden. Für die Langlebigkeit eines Gebäudes stehen natürlich auch dessen sinnvolle Einbettung in den städtebaulichen Kontext, seine Gestalt, Ästhetik, Orientierung und Lichtführung. Hier sind wir also wieder bei den Aspekten der Healing Architecture und der uns so wichtigen gebauten Wertschätzung.
Wie sieht für Sie im Sinne der Healing Architecture ein optimales Patientenzimmer aus?
Dorit Richter: Ein optimales Patientenzimmer ist zuallererst ein Einzelzimmer. Dieses punktet mit seiner Privatsphäre und seiner Autonomie. Weniger zusätzliche äußere Störungen, die individuelle Entscheidung über Belichtung, Belüftung, und Geräuschkulisse im Zimmer ermöglichen den Patientinnen und Patienten natürlich einen angenehmeren Aufenthalt und eine schnellere Genesung.
Da aber die betriebswirtschaftlichen Zwänge nicht außer Acht gelassen werden können, gilt es, die Qualitäten eines Einbettzimmers möglichst auch in einem Zweibettzimmer herzustellen.
Beispielhaft sei hier die neue Pflegestation genannt, die wir am Universitätsklinikum Münster in einer auf den Bestand aufgestockten Ebene untergebracht haben. Die Zimmer bieten trotz der klassischen Parallelstellung der Betten eine angenehme Raumkonfiguration. Sie profitieren von ihren breiten Raumachsen und raumhohen Verglasungen zum Außenbereich und einer eigenen kleinen Terrasse.


Der Entwurf für die künftigen Pflegestationen und Patientenzimmer in den vorhandenen, noch zu sanierenden Bettentürmen sieht sogar eine Gegenüberstellung der Patientenbetten vor. Dies hat den besonderen Effekt, dass es künftig keinen bevorzugten Bettplatz gibt. Beide Plätze verfügen über eine Zone mit mehr Raum und Privatsphäre für die Patientenpflege und den Empfang von Besuchern als in der üblichen Parallelstellung. Auch für die Kommunikation zwischen den Zimmerbewohnern ist dies vorteilhaft, weil sie im „Gegenüber“ einfach angenehmer als im „Nebeneinander“ funktioniert.

Und welche Wirkungen können durch verschiedene Elemente (z. B. Formen, Farben, Licht, Material usw.) bei den Patientinnen und Patienten erzielt werden?
Dorit Richter: Hierfür gibt es zahlreiche Studien, die belegen, dass die Genesung der Patienten schneller und erfolgreicher erfolgen kann. Die „Ulrich-Studie“ hatte ich ja bereits genannt.
Und ich möchte noch gern auf eine Forschungsarbeit von zwei Kolleginnen verweisen: Die Architektin Gemma Koppen und die Architekturpsychologin Tanja C. Vollmer haben sieben Umgebungsvariablen klassifiziert, die einen messbaren Einfluss auf die Stresswahrnehmung von Kranken haben.
Diese sogenannten „heilenden Sieben” sind für sie Orientierung, Geräuschkulisse, Power Points, Geruchskulisse, Rückzug und Privatheit, Aussicht & Weitsicht und Menschliches Maß.
Sehr gut nachzulesen in der Publikation: Gemma Koppen & Tanja C. Vollmer: Die heilenden Sieben. Schlüsselvariablen einer evidenzbasierten Krankenhausarchitektur. (In: Vollmer et al. (Hg.). Das Kranke(n)haus. Wie Architektur heilen hilft. ArchiTangle, 2023, S.126-127.)
Durch welche Merkmale sollten sich Mitarbeiterzimmer/-bereiche auszeichnen?
Dorit Richter: Wie schon erwähnt, ist es absolut notwendig, diejenigen in den Mittelpunkt unserer Planungen zu stellen, die die medizinische und pflegerische Fürsorge erbringen. Wir nennen das gebaute Wertschätzung. Das beinhaltet auch, dass wir uns für ihre Arbeitsabläufe interessieren und diese verinnerlichen und die funktionalen Zusammenhänge und Anforderungen kennen – und diese immer wieder mit unseren Entwürfen spiegeln.
Nicht nur die sogenannten Mitarbeiterbereiche erfordern dabei unsere Aufmerksamkeit, sondern alle Räume, in denen sich das Personal aufhält und bewegt. Ein nach den genannten Kriterien gestaltetes Patientenzimmer entfaltet natürlich auch seine Wirkung auf das Personal.
Grundsätzlich muss es so viel wie möglich durch Tageslicht belichtete Flächen und Räume geben. Es ist zum Beispiel unser Anspruch, dass kein OP-Saal mehr im Dunkeln liegt! Für ein gesundes Arbeitsklima sind die Ausblicke aus dem Fenster – also der Bezug zum Licht und das Erleben von Tageszeit und Wetterlage – immens wichtig!
Weiterhin versuchen wir, neben den eigentlichen Pausenräumen, zusätzliche Angebote zu schaffen, z. B. kleine Coffee Corners in die Stationen zu integrieren, die bereits durch kleine Aufweitungen und Sitznischen in den Stationsfluren entstehen können. Das sind wichtige Bereiche für einen Austausch und eine kleine Pause zwischendurch, die man ohne lange Wegestrecken erreichen kann.
Unser Entwurf für den Neubau des Deutschen Herzzentrums der Charité setzt das uns so am Herzen liegende Thema der gebauten Wertschätzung besonders symbolträchtig um:
Hier haben wir bereits im Wettbewerbsentwurf eine ganze Ebene für das Personal eingeplant.
Die Umkleiden liegen nicht im Untergeschoss, sondern in der zentralen Mitte, im Herzen des Gebäudes – ergänzt durch einen Loungebereich mit Espressobar und Fitnessräumen. Highlight ist der große Dachgarten mit einer 400m-Laufbahn, die zum Afterwork oder zu einer sportlichen Pauseneinheit einlädt – allein oder im Team, ganz nach Belieben.

Und wie wirken sich diese positiv auf die Mitarbeitenden selbst aus?
Dorit Richter: Wie wir von unseren Auftraggebern hören, gibt es schon allein wegen dieser eben genannten räumlichen Angebote Bewerbungen, im DHZC arbeiten zu können, obwohl das Gebäude noch gar nicht steht!
Grundsätzlich ist es für die spätere Akzeptanz ihrer künftigen Arbeitswelt sehr hilfreich, die Nutzerinnen und Nutzer in der Planungsphase mit einzubeziehen. Auch das gehört zur gebauten Wertschätzung.
In den Nutzerabstimmungen besprechen wir die aktuellen Planungsstände, teilweise können virtuelle Räume über VR-Brillen durchlaufen und Funktionsabläufe überprüft werden. Oder es gibt originalgroße Mockups, in denen Raumkonfigurationen, Lichtbedingungen und Materialien getestet werden.
Die Rückmeldungen fließen dann direkt in unseren Planungsprozess zurück. Wie intensiv die Nutzer eingebunden werden, hängt natürlich immer vom jeweiligen Auftraggeber ab.
Wie können sich solche Konzepte/Gestaltungselemente auch auf das private Wohnen ausweiten?
Dorit Richter: Wir sehen es eher andersherum: Der Gesundheitsbau wird durch Faktoren, wie wir sie aus dem Wohnungsbau kennen, positiv beeinflusst. Wohnbauten sind etwas sehr Persönliches. Sie bieten Raum für Rückzug und für individuelle Entfaltung. Besonders reizvoll – und auf die Großstruktur eines Krankenhauses übertragbar – ist das Entwickeln ganzer Wohnsiedlungen und das Zusammenspiel von öffentlichen und privaten Räumen.
Wenn es gelingt, die Vorzüge des privaten Wohnens, also das Schaffen von Privatsphäre und Individualität in unseren Gesundheitsbauten umzusetzen, sind wir auf einem sehr guten Weg!
Herzlichen Dank für Ihre Antworten.