Julia Förster, 32 Jahre, verheiratet, ist ausgebildete Pflegekraft aus Brandenburg. Aktuell ist sie als Koordinatorin für ambulante Wohngemeinschaften beim Pflegedienst „Die Zehlendorfer“ in Berlin tätig. Davor leitete sie ein Mehrgenerationen-Bauernhofprojekt. Sie ist auf Social Media als Juliaf.pflege aktiv und gibt regelmäßig Einblicke in die Pflege und ihren Pflegealltag.
Was war für Sie ausschlaggebend, um einen Beruf in der Pflege zu wählen? Und was lieben Sie an Ihrem Pflegeberuf besonders?
Julia Förster: Ich muss ehrlich sagen: Die Pflege stand ursprünglich gar nicht auf meinem Plan. Ich wollte eigentlich Polizistin werden, das war immer mein Traum. Als das damals nicht funktioniert hat, war die Pflege zunächst eher eine Alternative. Aber schon nach kurzer Zeit habe ich gemerkt, dass dieser Weg kein Plan B ist, sondern genau mein Platz.
Ich liebe meinen Beruf heute aus tiefstem Herzen. In der Pflege erlebt man Momente, die man in keinem anderen Job findet: echte Dankbarkeit, Nähe, Vertrauen und manchmal auch Humor in Situationen, in denen man es nie erwarten würde.
Wir begleiten Menschen in ihren schwersten Lebensphasen — und genau dann für jemanden da zu sein, Halt zu geben und wirklich etwas zu bewirken, ist für mich unbezahlbar.
Die Pflege ist für mich mehr als ein Beruf. Sie ist eine Aufgabe, die mich erfüllt, berührt und jeden Tag daran erinnert, warum Menschlichkeit so wichtig ist.
Was treibt Sie an, sich neben Ihrem Pflegeberuf mit Social Media zu beschäftigen?
Julia Förster: Social Media ist für mich ein Sprachrohr. Ich kann dort in kurzer Zeit unglaublich viele Menschen erreichen, und genau das möchte ich nutzen. In den klassischen Medien liegt der Fokus häufig auf Skandalen und negativen Schlagzeilen. Natürlich gibt es Herausforderungen in der Pflege, und die verschweige ich nicht, aber sie sind nicht alles.
Mir ist es wichtig, die andere Seite sichtbar zu machen: die emotionalen, schönen und wertvollen Momente, die Menschlichkeit, das Vertrauen und die Freude, die dieser Beruf mit sich bringt. Ich möchte zeigen, wie erfüllend Pflege sein kann, wie viel Herz darin steckt, und wie unglaublich vielfältig und bedeutend unsere Arbeit ist.
So können wir das Bild der Pflege verändern: weg von einer „Problembranche“ hin zu einem Berufsfeld voller Kompetenz, Würde und Herz.
Warum ist es (gerade heutzutage) so wichtig, Erfahrungen mit der Öffentlichkeit zu teilen?
Julia Förster: Gerade in Zeiten des Fachkräftemangels wird in der Öffentlichkeit häufig vor allem über die Schattenseiten der Pflege gesprochen: Personalmangel, Überlastung, Druck. Diese Herausforderungen existieren, aber wenn wir ausschließlich darüber reden, entsteht ein verzerrtes Bild des Berufs. Viele junge Menschen schreckt das ab, bevor sie überhaupt die Chance hatten zu erleben, wie vielseitig, wichtig und erfüllend Pflege sein kann.
Social Media ist heute ein Ort, an dem besonders junge Menschen ihre Informationen beziehen, Vorbilder finden und Entscheidungen beeinflussen lassen.
Wenn wir diese Plattform nutzen, um authentisch Einblicke zu geben, nicht nur in schwierige Situationen, sondern auch in die schönen, humorvollen und zutiefst menschlichen Momente, dann können wir ein realistischeres Bild erzeugen und gleichzeitig Begeisterung für den Beruf wecken.
Ich sehe darin eine große Chance: Statt nur über Probleme zu sprechen, zeigen wir, wie wertvoll Pflege ist, und wir zeigen, wie viel Sinn und Stolz in diesem Beruf steckt. Wenn durch meine Inhalte am Ende auch nur ein Mensch inspiriert wird, sich für die Pflege zu entscheiden, dann hat sich jede Minute Content-Arbeit gelohnt.
Spüren Sie, dass Sie in unserer Gesellschaft etwas mit Ihrem Social-Media-Engagement bewirken können? Haben Sie Beispiele für uns?
Julia Förster: Ja, definitiv. Ich bekomme regelmäßig Nachrichten von Menschen, die mir schreiben, dass meine Inhalte sie zum Nachdenken gebracht haben oder dass sie durch meine Perspektive eine neue Sicht auf die Pflege gewonnen haben. Besonders berührend ist für mich, wenn mir Menschen mitteilen, dass sie sich gerade wegen meiner Inhalte für eine Ausbildung in der Pflege entschieden haben oder als Quereinsteiger in den Beruf gestartet sind.
Zu sehen, dass meine Arbeit Menschen inspiriert, motiviert und ihnen Mut macht, das zeigt mir, dass meine Reichweite einen echten Unterschied macht.
Genau das ist mein Antrieb: Menschen zu erreichen, zu bewegen und ein realistisches, aber wertschätzendes Bild der Pflege zu vermitteln.
Ist der Pflegealltag heute anders als noch vor 10 Jahren? Wie hat sich der Beruf verändert – auch in Bezug auf Digitalisierung und neue Technologien?
Julia Förster: Ja, auf jeden Fall. Der Pflegealltag hat sich in den letzten Jahren spürbar verändert. Früher hatte man im Alltag noch etwas mehr Zeit für die Menschen selbst. Heute geht leider ein größerer Teil der Arbeitszeit für organisatorische Aufgaben, Dokumentation und gesetzliche Vorgaben drauf. Die Bürokratie ist komplexer geworden und das sorgt natürlich auch für zusätzlichen Druck im Alltag.
Gleichzeitig bringen neue Technologien und die fortschreitende Digitalisierung aber auch positive Entwicklungen mit sich: Viele Prozesse, die früher viel Papierkram bedeuteten, sind heute digital einfacher und schneller machbar. Das entlastet an manchen Stellen und schafft neue Möglichkeiten im Arbeitsablauf.
Spannend finde ich auch den Wandel in der Pflegegeneration.
Die neue Generation, die jetzt in die Pflege kommt, bringt frische Perspektiven, neue Erwartungen und ein anderes Verständnis für Arbeitskultur mit.
Das sorgt für neue Impulse im Team, andere Gespräche und manchmal auch einen Kulturwechsel – hin zu mehr Selbstbewusstsein, neuen Ideen und einer anderen Form der Professionalität.
Alles in allem ist die Pflege anspruchsvoller geworden, aber auch moderner. Und ich glaube fest daran, dass diese Veränderungen Chancen bergen, wenn wir sie konstruktiv nutzen und gemeinsam gestalten.
Was sind aus Ihrer Sicht die größten Probleme im Gesundheitswesen?
Julia Förster: Das größte Problem ist der massive Personalmangel und die Spirale, die daraus entsteht. Wenn zu wenig Pflegekräfte da sind, entsteht enormer Druck. Teams werden überlastet, gute Leute brennen aus und verlassen den Beruf, und der Mangel verstärkt sich weiter.
Besonders kritisch finde ich, dass aufgrund dieses Mangels bei Einstellungsentscheidungen oft Kompromisse gemacht werden. Es landen Menschen in der Pflege, die vielleicht nicht die nötige Empathie oder Fachlichkeit mitbringen, oder Kolleginnen und Kollegen, die bereits Fehlverhalten gezeigt haben, bleiben trotzdem im Beruf.
Pflege ist ein verantwortungsvoller und sensibler Beruf.
Qualität, Menschlichkeit und Professionalität dürfen nicht dem Mangel zum Opfer fallen.
Gleichzeitig sind Strukturen oft schwerfällig, bürokratisch und wenig innovativ. Wir brauchen nachhaltige Lösungen statt kurzfristiger Notprogramme.
Was würden Sie sich wünschen, wie sollte man den Herausforderungen in der Pflegebranche begegnen?
Julia Förster: Für mich ist es vor allem wichtig, dass wir Pflegekräfte endlich wirklich gehört werden. Oft wird über die Pflege gesprochen, aber viel zu selten mit den Menschen, die täglich im Beruf stehen. Lösungen werden am Schreibtisch entwickelt, manchmal von Menschen, die noch nie in der Pflege gearbeitet haben, und genau das führt dazu, dass viele Maßnahmen an der Realität vorbeigehen.
Wir brauchen keine Schuldzuweisungen und kein permanentes Fingerzeigen auf die Pflege. Wir brauchen Unterstützung, echte Dialoge und Entscheidungsträger, die bereit sind zuzuhören und die Perspektive der Pflege einzubeziehen.
Die besten Ideen entstehen dort, wo die Pflege stattfindet: am Bett, im ambulanten Alltag, in Wohngemeinschaften, in Teams. Pflegekräfte wissen sehr genau, was sie brauchen, was gut funktioniert und wo Strukturen versagen.
Es braucht daher maßgeschneiderte Lösungen, die gemeinsam mit der Pflege entwickelt werden, nicht über sie hinweg.
Wie kann man heute noch junge Menschen für den Pflegeberuf begeistern und nachhaltig binden?
Julia Förster: Ich glaube, Social Media spielt eine entscheidende Rolle. Junge Menschen informieren sich dort, lassen sich inspirieren und treffen oft aufgrund dessen Entscheidungen. Wenn wir dort ein realistisches, aber positives Bild der Pflege zeigen, können wir Neugier, Motivation und Begeisterung wecken — und gleichzeitig Vorbilder schaffen.
Mindestens genauso wichtig ist, wie wir mit jungen Menschen umgehen, sobald sie in der Pflege sind. Auszubildende und neue Kolleginnen und Kollegen brauchen Unterstützung, echtes Coaching und Wertschätzung. Sie dürfen nicht die Blitzableiter für den Stress im Team sein.
Wenn wir sie gleich zu Beginn überfordern, klein machen oder negativ behandeln, verlieren wir sie, und zwar noch bevor sie überhaupt die Chance hatten, in diesem Beruf anzukommen.
Deshalb müssen wir junge Pflegekräfte stärken, sie feiern, ihnen Verantwortung zutrauen und ihnen zeigen, dass sie wichtig sind.
Wer sich gesehen und gefördert fühlt, bleibt und trägt diese Begeisterung weiter.
Vielen Dank für das Interview.
1 comment
Eine Stimme mittendrin und so viel Energie, dass Pflege weiterhin attraktiv sein kann. Auch für junge Menschen! Großartig!