Teun Toebes kämpft seit Jahren für eine bessere Welt für Menschen mit Demenz, weil er davon überzeugt ist, dass jeder Mensch das Recht auf den bestmöglichen Lebensstandard hat, unabhängig von Alter oder Diagnose. Als freiwilliger Mitbewohner auf der geschlossenen Station eines Pflegeheims hat er erfahren, warum diese Veränderung so dringend notwendig ist und weshalb Teun beschloss, seine Mission auf eine höhere Ebene zu heben, indem er immer wieder über die niederländischen Grenzen hinausblickt. Teun Toebes hat sehr viele Follower in den sozialen Medien und ist häufig in den (internationalen) Medien zu sehen. Er spricht auf internationalen Konferenzen und hat den Bestseller „Nursing Home“, „A World to Win“ und den international preisgekrönten Dokumentarfilm „Human Forever“ veröffentlicht (https://teuntoebes.com/de/).

Am 28. Mai hielten Sie im Rahmen der Eröffnung der EXPO Living & Care in Berlin eine Keynote Speech mit dem Titel „#HUMANFOREVER – a world to win“. Sie gehen dabei auf die Notwendigkeit eines Perspektivwechsels bei der Betrachtung von Demenz und Menschen mit Demenz ein. Warum ist dieser Perspektivwechsel so dringend erforderlich?

Teun Toebes: Dieser Perspektivwechsel ist dringend nötig, da eine von fünf Personen im Laufe des Lebens eine Demenz entwickelt.

Also ist es keine Frage ob, sondern es ist die Frage, wann wir mit Demenz in Kontakt kommen.

Wenn wir Menschen, die am eigenen Leib von einer Demenz betroffen sind, wirklich genau und sehr sorgfältig zuhören, wird uns schnell bewusst, wie unglaublich disruptiv Demenz sein kann. Doch den Großteil des Leids und des Kummers, den die Menschen mit Demenz erfahren (dazu gehört zum Beispiel, das Gefühl ausgeschlossen oder nicht mehr ernst genommen zu werden), ist nicht auf die Demenz selbst, sondern auf unseren Umgang damit zurückzuführen. Das ist auf der einen Seite schmerzhaft, doch es macht auf der anderen Seite auch Hoffnung, denn wir sind es, die den Blickwinkel und damit auch den Umgang mit Demenz beziehungsweise mit Menschen mit Demenz ändern können und müssen.

Und wie sollte dieser Perspektivwechsel Ihrer Meinung nach aussehen?


Teun Toebes: Demenz wird heutzutage leider immer noch viel zu häufig als ein reines Pflegeproblem angesehen, und diese Perspektive wirkt sich wiederum direkt auf unseren Umgang mit Menschen mit Demenz aus. Dabei sollten wir – aus meiner Sicht – die Demenz als eine gesellschaftliche Herausforderung betrachten und unbedingt einen humanitären, zwischenmenschlichen Blickwinkel einnehmen.

Die Demenz gehört zu unserer Gesellschaft dazu.

Und wenn wir beginnen, die Menschen mit Demenz als aktiven Gesellschaftsteil anzunehmen und sie aus einer menschlichen, sozialen Sichtweise heraus zu betrachten, dann werden wir auch beginnen, anders mit ihnen umzugehen. Eine andere Perspektive bedeutet immer auch, anders zu handeln:

To look differently is to act differently! 

Wie wird Demenz und wie werden die Menschen mit Demenz in den Niederlanden wahrgenommen?


Teun Toebes:

Unser vorherrschendes Narrativ im Zusammenhang mit Demenz konzentriert sich leider immer noch zu sehr auf die Beeinträchtigung und den Verlust.

Wir betrachten (und bewerten auch) die Entwicklung und Entfaltung rationaler Fähigkeiten anders als ein fortschreitendes Verlieren des Ichbewusstseins bis hin zum völligen Identitätsverlust. Damit erweisen wir den Menschen mit Demenz wahrlich einen schrecklichen Bärendienst. Deswegen brauchen wir eine viel differenziertere Sicht auf das Leben mit Demenz.

Wie sieht das in Deutschland aus, was ist in Deutschland anders und was sind die Gründe dafür?

Teun Toebes: Auch wenn es kulturelle Unterschiede zwischen Deutschenland und den Niederlanden geben mag, so unterscheiden sich die Grundlagen, die Fundamente der Pflegesysteme durchaus kaum – und somit auch unser Umgang mit Menschen mit Demenz.

Wir „medikamentieren“ Menschen mit Demenz, obwohl wir mehr „normalisieren“ sollten.

Die Pflegesysteme – sowohl in Deutschland als auch in den Niederlanden – fußen (auch in ihrer Finanzierung) sozusagen grundsätzlich auf den Krankheiten und Einschränkungen der Menschen. In beiden Systemen liegt der Schwerpunkt auf der Qualität und der Art und Weise der Pflege. Doch unser Ziel muss es sein, die Lebensqualität/den Lebensstandard der Menschen mit Demenz zu erhöhen und zu verbessern. Dazu ist es notwendig, sich ganz auf diese Menschen einzulassen und ihnen genau zuzuhören, sodass wir das Umfeld schaffen können, damit sie so gut und so normal wie möglich leben können. Das erfordert eine grundlegend andere Haltung:

Wir müssen den Fokus von der Pflege auf das Leben und damit den Menschen selbst richten.

Was sind die größten Unterschiede in der Pflege von Menschen mit Demenz in den Niederlanden verglichen mit Deutschland?

Teun Toebes: In den Niederlanden habe ich über dreieinhalb Jahre auf einer geschlossenen Station in einem Pflegeheim für Menschen mit Demenz verbracht, habe mit ihnen gelebt. Um eine gute Antwort auf Ihre Frage geben zu können, müsste ich diese Lebenserfahrung eigentlich auch in Ihrem Land, Deutschland, machen. Was ich aber klar sagen kann, ist: Im Allgemeinen unterscheiden sich die Pflegesysteme in der westlich geprägten Welt kaum voneinander.

Bei allen liegen die Schwerpunkte auf Kontrolle und Sicherheit in der Pflege, dabei sollte – und muss – es doch um Zusammengehörigkeit und Lebensqualität gehen.

Dafür setze ich mich ein.

Wie können wir ein neues Verständnis und einem respektvolleren Umgang mit Menschen mit Demenz schaffen?

Teun Toebes: Der Schlüssel ist, wie schon gesagt, eine andere, menschliche Sicht auf die Dinge einzunehmen.

Ich bin fest davon überzeugt, dass sich unser Ansatz, unser Umgang mit Menschen mit Demenz ändern wird, wenn wir die Betroffenen nicht als die Bewohnerinnen und Bewohner, als die Klienten oder die Patientinnen und Patienten sehen.

Menschen mit Demenz sind eben nicht „die anderen“, sondern wir sehen und erleben Menschen mit einem Bedürfnis nach Sinn, nach Geborgenheit und Liebe – genau so wie Sie und ich.

Wenn Sie uns bitte noch darüber erzählen können, welches Feedback Sie zu Ihrem Vortrag in Berlin bekommen haben?

Teun Toebes: Ich bin sehr zuversichtlich und hoffnungsvoll, dass wir einen gesellschaftlichen Wandel bewerkstelligen können. Deshalb finde ich es toll, dass meine Botschaft die Zuhörerinnen und Zuhörer in Berlin berührt hat. Viele Kongressteilnehmerinnen und -teilnehmer kamen nach meinem Vortrag auf mich zu, um ihre Erfahrungen in der Pflege und mit Menschen mit Demenz mit mir zu teilen. Es regt sich Widerstand, ich habe das Gefühl, es kommt etwas in Bewegung, und das ist eine große Stärke:

Botschaften, die Veränderungen und einen gesellschaftlichen Wandel fordern, sind nicht immer schön oder einfach oder angenehm, aber sie sind notwendig.

Schließlich geht es um die Zukunft von uns allen.

Was nehmen Sie für Erkenntnisse mit?

Teun Toebes: Kleine Veränderungen sind nicht genug und reichen für einen gesellschaftlichen Wandel und einen Wandel im Gesundheitswesen nicht aus. Es ist notwendig, dass meine Botschaft über diese Messe/diesen Kongress hinausgetragen wird.

Das erfordert jede und jeden von uns.

Wie und wo möchten Sie selbst gern im Alter leben bzw. wie möchten Sie gern alt werden?

Teun Toebes: Ich möchte gern in einer Gemeinschaft leben, in der ich als der Mensch mit eigenen Bedürfnissen gesehen und wahrgenommen werden, der ich wirklich bin, und nicht als irgendein Patient mit einem Pflegeplan.

Herzlichen Dank für Ihre Ausführungen.

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