Das Deutsche Rote Kreuz DRK ist – als einer der großen Wohlfahrtsverbände in Deutschland – Spitzenverband der Freien Wohlfahrtspflege. Auf Bundesebene werden in enger Kooperation mit den neunzehn DRK-Landesverbänden sowie dem Verband der Schwesternschaften vom Deutschen Roten Kreuz alle Fragen der Sozial- und Wohlfahrtsarbeit des DRK analysiert und bearbeitet sowie alle damit verbundenen Aufgaben wahrgenommen:
Kassandra Becker ist seit 2018 Referentin Soziale Innovation & Digitalisierung und seit 2019 stellvertretende Teamleitung im Generalsekretariat des DRK in Berlin. Als besondere Qualifikation ist Frau Becker am HPI ausgebildete Design Thinkerin.
Wir haben mit Frau Becker darüber gesprochen, wie Design Thinking das DRK auf dem Weg zur Digitalisierung unterstützt und welche Herausforderungen sich stellen.
Frau Becker, Sie sind seit mehr als zwei Jahren Referentin Soziale Innovation & Digitalisierung und stellvertretende Teamleitung im Generalsekretariat des DRK. Eine spannende Position, bitte skizieren Sie uns Ihren Aufgabenbereich.
Kassandra Becker: Mein Fokus liegt darauf, den Verband mit seinen Gliederungen in der digitalen Transformation mitzunehmen und entsprechende Formate sowie Angebote für Haupt- und Ehrenamtliche zu entwickeln. So habe ich beispielsweise die Kompetenzzentren Digitalisierung als Inhouse-Beratungseinheiten rund um Digitalisierungsfragen in Leben gerufen. Darüber hinaus übernehme ich die politische Interessenvertretung, um Anliegen unserer Gliederungen an die Bundespolitik heranzutragen und letztendlich digitale Teilhabe unserer Zielgruppen – der Verletzlichsten der Gesellschaft – möglich zu machen. Außerdem tausche ich mich mit der Fachöffentlichkeit zu Digitalisierungserfahrungen aus, um voneinander zu lernen.
Was ist der Ansatz von Design Thinking und wie bewerten Sie diesen?
Kassandra Becker: Design Thinking ist nicht nur eine Innovations- und Kreativtechnik, mit der Fragen in multidisziplinären und diversen Teams bearbeitet werden. Design Thinking ist auch eine Einstellung. Dabei werden Analytik, Kreativität und Empathie miteinander verknüpft. Design Thinking ist ein sich wiederholender Prozess, der sich in sechs Phasen gliedert, die beliebig oft wiederholt werden können: Problemdefinition, Entwicklung von Empathie und Problemverständnis, Sammeln der Erkenntnisse, Ideenentwicklung auf Basis der Bedarfserhebungen, Entwicklung von Prototypen und Vertestung der Ideen. Das wichtigste Merkmal dieser Methode ist ihr Fokus auf die Zielgruppe. Ich empfinde diese Methode als sehr hilfreich, um die Bedarfe und Wünsche derer zu verstehen, für die man ein Angebot oder eine Dienstleistung entwickelt.
Was begeistert Sie am meisten an dieser Methode?
Kassandra Becker: Ganz klar der Fokus auf den Nutzer oder die Nutzerin und damit verbunden die vielen kreativen Ansätze, mit denen dies gelingen kann.
Frau Becker, Sie haben das Format Think & Do Tank Digitalisierung entwickelt. Was verbirgt sich dahinter?
Kassandra Becker: Der Think & Do Tank Digitalisierung wurde 2018 ins Leben gerufen und ist eine Ideenschmiede in Form einer sich regelmäßig treffenden Arbeitsgruppe mit festem Kern und wechselnden Teilnehmenden aus allen Verbands- und Hierarchieebenen. Ziel ist die Begleitung und Befähigung aller Rotkreuzlerinnen und Rotkreuzler zur Mitgestaltung der digitalen Transformation im Deutschen Roten Kreuz.
Basierend auf unterschiedlichen agilen Methoden, wie Design Thinking, werden bei den Treffen in co-kreativen Prozessen Bedarfe und passende Angebote für die Zielgruppen entwickelt. Diese sollen dazu beitragen, Digitalisierung einerseits mit der Identität des DRK zusammenzubringen und andererseits die Digitalisierung des Sozialen, im Sinne der Gesellschaft, menschlich zu gestalten.
In 2019 haben wir mit Design Thinking Ideen für eine DRK-Digitalkonferenz entwickelt, die verschiedene DRK’lerinnen und DRK’ler zusammenbringt und durch interaktive und kreative Elemente Digitalisierung für die Teilnehmenden erfahrbar macht.
Bitte nennen Sie uns ein weiteres Beispiel, wo Sie die Methode Design Thinking im DRK angewandt haben.
Kassandra Becker: Wir haben beispielsweise mit dem Hasso-Plattner-Institut (HPI) zusammengearbeitet. Dort kann man die Methode erlernen und mit echten Projektpartnern – Unternehmen, Start-ups, Stiftungen oder Verbänden – an einer Idee arbeiten. Als Projektpartner gaben wir eine Herausforderung an die Studierenden: Wie können wir die Pflegekräfte von morgen in der Digitalisierung befähigen? Während der achtwöchigen Zusammenarbeit entwickelten die Studierenden verschiedene Prototypen. Aus einer Idee entstand Care 4.0, eine Qualifizierungsreihe für Fach- und Führungskräfte des DRK rund um das Thema Digitalisierung in der Pflege und darüber, wie der Einsatz neuer Technologien gelingen kann und welche Voraussetzungen hierfür nötig sind.
Welche positiven Erfahrungen haben Sie mit der Methode gemacht?
Kassandra Becker: Ich konnte bereits viele positive Erfahrungen mit Design Thinking sammeln. Besonders spannend finde ich, sich von den eigenen Annahmen zu lösen und sich wirklich offen und frei in den Prozess zu begeben. Viele Menschen, die eigentlich von sich sagen würden, dass sie nicht kreativ sind, entdecken durch Design Thinking das kreative Potenzial, das in ihnen schlummert.
Wo sehen Sie weiteres Potenzial für den Einsatz von Design Thinking für das DRK?
Kassandra Becker: In der Wohlfahrtspflege bietet das DRK eine Vielzahl an Angeboten und Leistungen an und entwickelt diese immer wieder weiter oder bietet neue Angebote an. Grundsätzlich kann Design Thinking dabei helfen, das Angebots- und Leistungsportfolio an den Bedarfen der Leistungsempfangenden auszurichten und diese in den Entwicklungsprozess auf Augenhöhe miteinzubinden.
Wo bemerken Sie Hürden oder Hindernisse bei der Umsetzung?
Kassandra Becker: Oft erlebe ich es, dass sowohl Fach- als auch Führungskräfte sehr engagiert in einem mehrtägigen Design Thinking Workshop zusammenarbeiten und sich auf die Methode einlassen. Die Herausforderung liegt dann darin, das Erarbeitete – die neuen Prototypen und Lösungen – außerhalb des Workshopraums weiterzuverfolgen, indem weiter getestet oder Ideen implementiert werden. Denn die Methode ist nur dann erfolgreich, wenn langfristig Arbeitsweisen überdacht und geändert werden.
Was wünschen Sie sich von den Führungskräften zum Thema Design Thinking?
Kassandra Becker: Grundsätzlich können alle Träger von Design Thinking profitieren. Die wichtigste Voraussetzung ist die Offenheit für etwas Neues mit unbekanntem Ausgang. Dies gilt sowohl für die operative Ebene als auch für die Führung.
Von Führungskräften wünsche ich mir, dass sie ihren Mitarbeitenden den Freiraum geben, agile Methoden wie Design Thinking zu erproben und sich auch selbst aktiv einbringen. Deswegen: Suchen Sie sich jemanden, der mit der Methode vertraut ist, schließen Sie sich abseits des gewohnten Arbeitsumfeldes ein und legen Sie los!
Ein Blick in die Zukunft: Wie sehen Sie das digitale Deutsche Rote Kreuz im Jahr 2030?
Kassandra Becker: Digitalisierung verändert vieles – auch die Wohlfahrtspflege. In der Wohlfahrtsarbeit stellt sich insbesondere die Herausforderung, sowohl die Zielgruppen als auch die Mitarbeitenden im Prozess der digitalen Transformation mitzunehmen und dafür zu gewinnen.
Denn in der Wohlfahrtspflege schlummern erhebliche Digitalisierungspotenziale, um soziale Arbeit effektiver und effizienter zu gestalten. Auf diesem Wege lässt sich das Leben der Bürgerinnen und Bürger positiv beeinflussen. In 2030 können wir mit Erfolg sagen: die digitale Transformation ist gelungen und der Mensch steht weiterhin – unterstützt durch digitale Lösungen – im Mittelpunkt unserer Arbeit.
Frau Becker, vielen Dank für das Interview!
Weitere Information: https://drk-wohlfahrt.de/sonderseiten/soziale-innovation-digitalisierung/
Kassandra Becker ist Teilnehmerin am Expertenkreis der neutralen Veranstaltungs- und Publikationsplattform WiBU Kompetenztransfer und in diesem Rahmen auch als Referentin tätig.