Uwe Behrends, Jahrgang 1958, ist Gründungsmitglied der Wir vom Gut e. G. Er ist Diplom-Psychologe und approbierter Psychologischer Psychotherapeut. Seit zwei Jahren genießt er seinen Ruhestand.

Wie entstand die Idee zu „Wir vom Gut“? Was war die Motivation/der Auslöser? 

Uwe Behrends: Ausgangspunkt der Verwirklichung unseres Mehrgenerationenwohnprojektes auf Gut Mydlinghoven war ein bereits bestehender Verein aus Hahn, der sich kurz vorher vergeblich um ein passendes Gebäude bemüht hatte. In dieser Gruppe existierte das Bild, mit vielen Menschen aller Altersklassen in einer dorfähnlichen Gemeinschaft zu leben, umgeben von viel Natur und doch am Rande einer Stadt. Die Idee war, dass jeder sich nach seinen/ihren Fähigkeiten und Möglichkeiten einbringt, dass die Gemeinschaft sich so gegenseitig bereichert, ergänzt und voneinander lernt. So sollte Vielfalt und Lebendigkeit entstehen und gelebt werden. 

Diese Idee war die Grundlage für unsere Gemeinschaft auf Gut Mydlinghoven. Bei der Suche nach einem geeigneten Objekt entdeckte eines der Vereinsmitglieder das Gut Mydlinghoven für das heutige Wohnprojekt. Schnell fanden sich über digitale Medien, Wohnprojektetage in Düsseldorf und Köln sowie Anzeigen viele gleichgesinnte Menschen, die ein Mehr an „miteinander leben“ als ein „nebeneinander leben“ wagen wollten. Es sollte „naturnah, ökologisch sinnvoll und ökonomisch machbar“ sein. 

Meine Frau und ich erfuhren von dem Wohnprojekt durch eine Vermittlungsstelle für Wohnprojekte bei der Stadt Düsseldorf, die uns schon mit einem früheren „gescheiterten“ Wohnprojekt begleitet hatte.

Grundsätzliche Motivation war, mit unterschiedlichen Menschen mehr „wie in einem Dorf“ zusammenzuleben und viele schöne Aspekte des Lebens zu „teilen“, eine Gemeinschaft zu bilden, sich gegenseitig zu unterstützen, um zum Beispiel im Alter länger fit zu bleiben und in jüngeren Jahren Entlastung zu erfahren. Jüngere sollten von den Älteren profitieren und umgekehrt. 

Wie finanziert sich das Projekt „Wir vom Gut“?

Uwe Behrends: 2014 gründeten wir die Genossenschaft „Wir vom Gut e. G.“ Wir brachten 40 Prozent der Kauf- und Investitionskosten als Eigenkapital auf, 60 Prozent wurden als Kredit aufgenommen. Jedes neue Mitglied der Genossenschaft muss entsprechend der Quadratmeterzahl seiner Wohnung 40 Prozent Eigenkapital mitbringen, die restlichen 60 Prozent und die Erhaltung und der Betrieb des Gutes werden über das sogenannte Nutzungsentgelt finanziert.

Eine Beispielrechnung einer 100 qm Wohnung:

1. Einmaliges Eintrittsgeld in die Genossenschaft von 500 Euro.

2. Pflichteinlage in Genossenschaftsanteilen (1.000 Euro/qm) = einmalig 100.000 Euro Eigenkapital (wird bei Auszug nominal zurückgezahlt).

3. Monatliches Nutzungsentgelt („Netto-Kaltmiete“) plus Betriebskostenumlage („Nebenkosten“): 13,30 Euro/qm Wohnfläche. Darin sind die Kosten für Strom und den Internetzugang enthalten. 

Durch welche Besonderheiten/Angebote zeichnet sich das Leben auf dem Gut bzw. Ihr Co-Housing-Konzept aus?

Uwe Behrends:

Wir sind ein weitgehend selbstverwaltetes Projekt und haben in unseren Verträgen eine Selbstverpflichtung zur Mitarbeit unterzeichnet.

So versuchen wir, möglichst viele der Aufgaben, die mit der Gestaltung unseres Lebens zu tun haben, selbst wahrzunehmen, wie zum Beispiel arbeiten an Gebäuden, Grünflächen, Genossenschafts- und Gemeinschaftsstrukturen. 

Damit das alles klappt, haben sich zwei Bewohner bereit erklärt, die Hausverwaltung zu übernehmen und die Arbeiten zu koordinieren. Wegen des sehr hohen Zeitaufwandes, werden diese auch von der Gemeinschaft bezahlt. 

Das, was wir nicht selbst machen können, wird von außen „dazugekauft“, zum Beispiel Buchhaltung, Steuern und manche handwerklichen Arbeiten. Entscheidungen werden, wenn möglich, nach dem soziokratischen Modell im Konsens getroffen. Nach diesem Modell wird nach Lösungen gesucht, die möglichst von allen mitgetragen werden können. 

Bei Konflikten unterstützt ein gewählter Vertrauensrat. 

Alle großen Entscheidungen auf der Gemeinschaftsebene werden im monatlich stattfindenden Plenum besprochen und getroffen. Kleinere Entscheidungen werden von den entsprechenden Arbeitsgruppen selbständig bearbeitet und gefällt.

Wie wir zusammenleben, unterliegt immer wieder gewissen Schwankungen. Zum Beispiel haben wir anfangs dreimal pro Woche zusammen gekocht und gegessen, was durch die Coronapandemie dann nicht mehr möglich war. Heute wird vorwiegend an den Samstagen ein gemeinsames Essen zubereitet, an denen dringende Arbeiten erledigt werden.

Co-Housing besteht heute viel aus zusammenarbeiten, wie die Pflege der denkmalgeschützten Gebäude und der Grünflächen, die zu einem großen Teil aus Landschafts- und Naturschutzgebiet bestehen. Im Sommer unterstützen uns Leihschafe und einige Bienenvölker bei der Landschaftspflege.

Durch die vielen Initiativen der Bewohnerinnen und Bewohner können wir anbieten: internes Kino, internes Café, Fitnessraum, Saunabereich, Gemüsegärten, gemeinsames Wohnzimmer, Werkstatt, Kreativraum, Kinderspielplatz, Trampolin, Feuerstelle, Seminarräume, Bibliothek, Billardtisch, Raum für Yoga und Meditation.

Ganz besonders gut können wir zusammen feiern, gleich welcher Anlass, und davon gibt es viele … Unsere Mydlinghovener-Mitbring-Buffets sind legendär. 

Wie viele und welche Arten von Wohneinheiten gibt es? Und wer wohnt dort (Familien, Singles, Seniorinnen und Senioren usw.)?

 Uwe Behrends: Wir haben 47 Wohneinheiten zwischen etwa 30 und 140 qm Wohnfläche, in denen je nach Größe der Wohnung ungefähr 2/5 Singles und Familien wohnen und 1/5 von Paaren bewohnt wird. 

Insgesamt sind wir zurzeit 102 Personen (72 Erwachsene und 30 Kinder).

Zusätzlich stehen 3 Gästezimmer für Familienangehörige und Freunde der Bewohnerinnen und Bewohner zur Verfügung, die für einen geringen Preis angemietet werden können.

Da wir von Anfang an ein Mehrgenerationenwohnprojekt waren, versuchen wir eine Altersverteilung entsprechend der Bevölkerung über alle Generationen hinweg beizubehalten. 

Wie ist das Zusammenleben organisiert?

Uwe Behrends: Als Basis unseres Zusammenlebens haben wir uns für die Gesellschaftsform der Genossenschaft entschieden und unterliegen dem Genossenschaftsrecht. Eine entsprechende Geschäftsführung mit Aufsichtsrat und Vorstand, sowie eine jährlich stattfindende Generalversammlung sind Pflicht.  

Die Gemeinschaftsstruktur setzt sich aus folgenden Substrukturen zusammen: 

  1. Plenum:

Das Plenum, als Interessenvertretung aller Mitglieder ist unser stärkstes Gremium. Es wird einmal im Monat durchgeführt.

  • Beirat:

Er setzt sich zusammen aus den Sprecherinnen und Sprechern der Arbeitsgemeinschaften. Der Beirat ist das Bindeglied zwischen den Genossenschafts- und den Gemeinschaftsstrukturen. Er organisiert und koordiniert Tagesordnung und Durchführung des Plenums.

  • Arbeitsgemeinschaften (AG):

Es gibt zurzeit drei Arbeitsgemeinschaften: Die AG Gemeinschaft, die AG Gutsarbeiten und die AG Raum und Technik. Beispielsweise sind in der AG Gutsarbeiten alle Arbeitskreise vertreten, die für die Bereiche Pflege der Gebäude und der Außenanlagen zuständig sind. Bei den monatlichen Treffen tauschen sich die Sprecherinnen und Sprecher der Arbeitskreise aus.

  • Arbeitskreise (AK):

Sie planen die dauerhaft anfallenden Arbeiten und sorgen für die Umsetzungen.

  • Projektgruppen (PG):

Sie entstehen zeitlich begrenzt zur Bearbeitung eines bestimmten Projektes (zum Beispiel der Bau einer Sauna).

  • Themenverantwortliche: 

Es sind meist ein bis zwei Personen, die für eng umgrenzte Themen verantwortlich sind (zum Beispiel Baumschutz oder Naturschutz).

Über die analoge Kommunikation hinaus, kommunizieren wir über unterschiedliche digitale Dienste.

Wie können die Jüngeren von den Älteren und umgekehrt profitieren?

Uwe Behrends:

Grundsätzlich haben sich alle Mydlinghovener für ein Mehr an miteinander leben entschieden.

Natürlich gibt es das sprichwörtliche Helfen der Gemeinschaft zwischen den Generationen. Dies wird in verschiedensten Formen im Alltag gelebt.

Kinder werden von älteren Bewohnerinnen und Bewohnern in die Schule gefahren oder auch bei den Hausaufgaben betreut. 

Im Krankheitsfall wird für die Betroffenen eingekauft und mitgekocht. Es finden sich immer Mitfahrgelegenheiten für Bewohnerinnen und Bewohner, die kein Auto besitzen, und so manches Kind hat sich schon eine „Guts-Oma“ oder einen „Guts-Opa“ gesucht und auch gefunden.

Ohne digitale Kommunikation geht es auf dem Gut nicht, wenn Probleme auftauchen, hilft häufig die jüngere Generation … Schwere körperliche Arbeiten können von Jüngeren übernommen werden etc. 

Was passiert, wenn ältere Mitbewohnerinnen und Mitbewohner Betreuung und/oder Pflege benötigen?

Uwe Behrends: Es gibt einen Arbeitskreis, der sich mit den Fragen der Betreuung und/oder Pflege beschäftigt und das Thema auch immer wieder in die Gemeinschaft trägt. Gestartet sind wir vor circa 10 Jahren mit der Vorstellung, dass wir uns nicht gegenseitig pflegen können. Wie viel Pflege trotzdem durch uns geleistet werden kann, haben wir deshalb offengelassen, da es uns von den persönlichen Beziehungen zur hilfsbedürftigen Person abhängig erschien.

Realistisch war und ist jedoch, dass wir im Notfall bei der Koordination der Helfersysteme (Familie, Krankenkassen, Pflegedienste etc.) unterstützen können. In einem konkreten Fall wurde eine Bewohnerin in diesem Sinne bis zur Aufnahme in eine Palliativstation unterstützt. 

Besten Dank, dass Sie unsere Fragen beantwortet haben.

© Fotos/Screenshots mit freundlicher Genehmigung www.wirvomgut.de

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