Einen Blick auf das neue Restaurant ermöglicht uns Robert Guschelbauer, Bereichsleiter Gastronomisches Management Häuser zum Leben.
Wie und warum entstand die Idee, ein demenzfreundliches, gastronomisches Angebot im Haus Döbling zu schaffen?
Robert Guschelbauer: In unserem Unternehmen den „Häusern zum Leben“ ist der Kontakt mit dem Thema Demenz ein Teil unserer Arbeit. Da wir uns mit diesem Thema immer intensiver auseinandersetzen, wurde uns sehr schnell klar, dass es kein spezielles Angebot für diese Klientel im kulinarischen Segment gibt. So haben wir es uns zur Aufgabe gemacht, genau jenes zu schaffen und haben das erste Wiener Demenzrestaurant „Zum Augenblick“ ins Leben gerufen.
Was macht das Restaurant „Zum Augenblick“ besonders?
Robert Guschelbauer: Unser demenzfreundliches Restaurant bietet die einzigartige Möglichkeit eines geschützten Rahmens für demenziell erkrankte Menschen und deren Zu- und Angehörigen. Im Fokus stehen die Bedürfnisse unserer Bewohnerinnen und Bewohner, das Restaurant wurde auf Basis dieser Zielgruppe geplant und aufgebaut.
„Zum Augenblick“ unterscheidet sich von herkömmlichen Restaurants unter anderem durch die Anwesenheit und Unterstützung von Pflege- und Betreuungspersonal vor Ort und Servicepersonal, welches im Umgang mit demenziell erkrankten Menschen geschult ist.
Angeboten werden spezielle abgestimmte und angepasste Speisen und Getränke, sowie Speisekarten beziehungsweise Schauteller, welche die Menüauswahl erleichtern. Aufwendige Raum- oder Tischgestaltung, laute Musik oder Tanz können die Konzentration auf das Essen erschweren. Daher ist im „Zum Augenblick“ die Hintergrundmusik, welche eine Mischung aus klassischen und Wiener Liedern beinhaltet, regulierbar, die Lautstärke kann auf die Bewohnerinnen und Bewohner beziehungsweise die Auswahl auf die Stimmung angepasst werden. Es werden Nischen geschaffen und Raumteiler durch Pflanzen gestellt, auf den Tischen selbst befindet sich nur die notwendigste Dekoration. Grundsätzlich bietet dieser Abend einen abgestimmten Rahmen für Betroffene mit gleichem beziehungsweise ähnlichem Krankheitsbild und deren Zu- und Angehörige. Dies wird ermöglicht durch das Zusammenspiel vieler verschiedener Berufsgruppen, die einander auf Augenhöhe begegnen und konstruktiv das Optimale für die Betroffenen entwickeln. Das ist multiprofessionelle Zusammenarbeit in seiner besten Form.
Neben dem Servicepersonal steht auch Pflegepersonal zur Unterstützung und Betreuung zur Verfügung. Wie und wo werden die Pflegekräfte eingesetzt?
Robert Guschelbauer: Das Pflege- und Betreuungspersonal ist während des gesamten Betriebs vor Ort, um im Bedarfsfall zu unterstützen und Sicherheit zu geben. Konkret heißt das, wenn Bewohnerinnen und Bewohner mit demenziellen Erkrankungen zum Beispiel mit Bewegungsdrang während des Essens aufstehen möchten, werden sie von unseren Pflege- und Betreuungspersonen begleitet. Es gibt Unterstützung, wenn Bewohnerinnen und Bewohner beispielsweise auf die Toilette müssen, oder wenn Unterstützung während des Essens benötigt wird. Die Betreuungspersonen halten sich grundsätzlich eher im Hintergrund, es gibt einen Tisch mit gutem Überblick, sie haben auch Beschäftigungsmaterial vorbereitet, um gegebenenfalls Bewohnerinnen und Bewohner zwischendurch auch bei sich am Tisch zu betreuen.
Die Anwesenheit gibt Sicherheit und bietet unter anderem genau diesen geschützten Rahmen, der es leichter macht, den Abend zu genießen.
Wenn Sie mit uns ein paar Erfahrungen teilen würden: Welche Reaktionen von Gästen mit Demenz, ihren Angehörigen und auch vom Service- und Pflegepersonal sind Ihnen am meisten in Erinnerung geblieben?
Robert Guschelbauer: Gern möchte ich Ihnen dazu ein paar Rückmeldungen von Angehörigen weitergeben:
So erzählte uns Beatrix Ebner, die Tochter eines Bewohners, dass sie bei einem Besuch in einem regulären Restaurant oft vor vielen Herausforderungen stehen. Oft ist die mangelnde Barrierefreiheit ein Problem, zudem hat ihr Vater ein Thema mit der Kontinenz. Benimmt sich der Vater in einem „normalen“ Gasthaus etwas anders (und läuft zum Beispiel fröhlich pfeifend durch die Gänge), kommt sofort das Gefühl auf, dass sich die anderen Gäste gestört fühlen. Beatrix Ebner und ihre Mutter freuen sich daher sehr, dass es jetzt diese Restaurantmöglichkeit bei den Häusern zum Leben gibt. Hier ist ihr Vater in einem geschützten Rahmen, und sie fühlen sich alle sehr wohl. Das Wichtigste für Beatrix Ebner und ihre Mutter ist, dass sie das Gefühl haben, dass er diesen Abend wirklich genießt. Gemeinsam schön essen hat in ihrer Familie immer einen hohen Stellenwert gehabt, immer wenn es etwas zu feiern gab, versammelte sich die Familie um den Esstisch bei einer leckeren Mahlzeit, und dieses feine Ritual können sie jetzt fortführen! Der Vater liebt Hausmannskost und ist daher im „Zum Augenblick genau richtig.
Manfred Forster, Sohn einer Bewohnerin, beschreibt, dass seine Mutter seit einem Jahr im Haus Döbling wohnt. Früher sind sie gerne mit der ganzen Familie zum Heurigen gegangen. Seitdem die Mutter an Demenz erkrankt ist, hat das aufgehört. Daher freuen sie sich, dass ein Restaurantbesuch jetzt wieder möglich ist. Dadurch, dass À-la-carte bestellt werden kann, ist auch für Manfred Forsters Sohn immer etwas dabei. Und die Preise findet er für die hier gebotene Qualität „schwer in Ordnung“! Und besonders gut gefällt der Familie der schöne, entspannte Rahmen.
Brigitte Jäger, Tochter einer Bewohnerin, sagt, dass ihre Mutter seit zwei Jahren in den Häusern zum Leben ist und hier seit ihrer Demenzdiagnose optimal betreut wird. Die Idee und die Umsetzung des Restaurants „Zum Augenblick“ findet sie „einfach umwerfend gelungen“. Sie war zu Tränen gerührt, ihre Mutter so glücklich zu sehen! Die Mutter hat den Gruß aus der Küche mit den Fingern gegessen und das Messer abgeschleckt – und niemand hat sich darum geschert. Hier im Demenzrestaurant macht die Mutter die Benimmregeln. Sie haben es beide genossen und sich wohl gefühlt! In herkömmlichen Restaurants ist das nicht so. Da schauen die anderen Gäste komisch, und das merkt die Mutter dann trotz ihrer Erkrankung, und das ist ihr unangenehm. Im „Zum Augenblick“ gibt es einen entspannten Rahmen, der exakt für an Demenz erkrankte Menschen abgestimmt ist.
Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Häuser zum Leben sagen: Es ist erstaunlich, wie selbstverständlich und „normal“ das Verhalten von schwer demenziell veränderten Menschen in dem Restaurant „Zum Augenblick“ sein kann.
Der von früher bekannte Umgang in so einer Situation wird automatisch reaktiviert, und gewohnte Normalität kann hier gelebt werden.
Besonders in Erinnerung ist mir die Stimmung geblieben, die sich im Raum bei der Eröffnungsveranstaltung breitgemacht hat. Alle haben gelächelt, und es war so entspannt und ruhig. Ein weiterer Punkt ist die erkennbare Freude beim Servicepersonal, aber auch bei den Küchenmitarbeiterinnen und -mitarbeitern und vor allem den beteiligten Koch- und Kellnerlehrlingen. Wenn ich einen der Lehrlinge zitieren darf: „Es war super, das sollte für alle Lehrlinge verpflichtend sein, da einmal mitzuhelfen“.
Was wird im Restaurant konkret geboten und angeboten?
Robert Guschelbauer: Als Beispiel möchte ich Ihnen gern die Speisekarte vom 25. April zeigen:
Im Restaurant „Zum Augenblick“ kann man aus exklusiven À-la-carte-Gerichten, die mit regionalen Zutaten frisch vor Ort vom vielfach ausgezeichneten Küchenteam der Häuser zum Leben zubereitet wurden, wählen. Das Angebot reicht von vegetarischen Gerichten zu Fleisch- und Fischspezialitäten (Vorspeisen zirka 8 Euro, Hauptspeisen bis zirka 14 Euro). Auch Suppentiger können wählen zwischen einer Bouillon und einer vegetarischen Variante (jeweils um zirka 4 Euro). Als Desserts stehen Kuchen, süße Knödel, Terrinen und Parfaits (um je zirka 6 Euro) zur Auswahl.
So erwartet einen ein Restaurantbesuch in angenehmer Atmosphäre mit saisonalen und regionalen À-la-carte-Speisen, musikalischer Begleitung und bei Bedarf Unterstützung einer Betreuungsperson.
Man genießt einen entspannten Abend mit Restaurant-Feeling – wie früher.
Das Angebot ist im Stile eines A-la-carte-Restaurants geplant. Es gibt eine Speisekarte mit Suppen, Vor- und Hauptspeisen und Desserts, aus denen die Besucherinnen und Besucher wie im Alltag gewohnt wählen können. Das Servicepersonal trägt eine entsprechende Mitarbeiterkleidung. Die Besucherinnen und Besucher werden am Empfang begrüßt und anschließend zum Tisch geleitet. Dies ermöglicht die Wahrnehmung eines richtigen Restaurantaufenthaltes. Leise Hintergrundmusik ermöglicht eine entspannte Stimmung, ohne vom Essen abzulenken.
Die Besonderheiten sind eine reduzierte Tischgestaltung, die Speisekarte wird mit Fotos aufgewertet, und die Hauptspeise und Desserts können anhand von Schautellern gewählt werden.
Das ermöglicht den Menschen mit Demenz die selbstständige Auswahl von Speisen und ist damit ein wichtiger Teil von Selbstbestimmung und Würde.
Werden die Gerichte und ihre Zusammensetzung und Zubereitung eigens für das Restaurant entwickelt? Und worauf wird dabei besonders geachtet?
Robert Guschelbauer: Die Speisen wurden und werden danach ausgesucht, was bei den Betroffenen wahrscheinlich bekannt ist. Es sind Gerichte wie Wiener Schnitzel, Grammelknödel (eine Knödelvariation der österreichischen Küche mit gehackten Grieben), aber auch Wäschermädel als Dessert (Wäschermädel sind in einem Backteig gehüllte Marillen, gefüllt mit Marzipan, die in heißem Fett goldbraun gebacken werden). Es gibt keine spezielle Zusammensetzung, da es keine eigene „Demenzkost“ gibt, sondern auf individuelle Bedürfnisse Rücksicht genommen werden muss.
Geachtet wird darauf, dass die Gerichte sparsam dekoriert werden, sodass sie leicht erkannt werden können.
Wie wurde das Servicepersonal speziell im Umgang mit Menschen mit Demenz geschult?
Robert Guschelbauer: Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wurden in einer kurzen Schulung von unserer Diätologin auf die Besonderheiten im Umgang mit demenziell Erkrankten in einer Restaurantsituation vorbereitet.
So wurde Verständnis geschaffen für die Unterschiede in Tischgestaltung, Ablauf und Kommunikation mit den Betroffenen.
Zusätzlich konnten so Ängste abgebaut und die Motivation gestärkt werden, sich auf dieses „Abenteuer“ einzulassen.
Wie schaffen Sie es, die Speisen zu moderaten Preisen anzubieten?
Robert Guschelbauer: Ein Teil der eingesetzten Personalstunden für das Pop-up-Restaurant „Zum Augenblick“ kommen aus Förderungen. Die Preise sind so kalkuliert, dass wir den Wareneinsatz, den restlichen Teil von zusätzlichen Personalkosten und sonstige Kosten decken.
Unser Anspruch ist, kostendeckend zu arbeiten, wir haben hier keine Gewinnorientierung.
Wie soll es zukünftig mit dem „Augenblick“ weitergehen?
Robert Guschelbauer: Unser Ziel ist, das Angebot in mehreren Häusern drei- bis viermal pro Jahr anzubieten, hier sind wir auf dem besten Weg dazu. Der Erfolg des Piloten im Haus Döbling gibt uns hier Recht und Auftrieb. Die nächsten Termine werden also gerade geplant. Die beteiligte Berufsgruppen dabei sind Küchenchefinnen und -chefs, Köchinnen und Köche, Servicemitarbeiterinnen und -mitarbeiter, die Teamleitung Betreuung, Pflegemitarbeiterinnen und -mitarbeiter, Diätologinnen und Diätologen, die Teamleitung Büro, Lehrlinge …
Alle Fotos: © Häuser zum Leben
Video „Erstes demenzfreundliches Pop-up-Restaurant in Wien“: https://www.youtube.com/watch?v=iJRQ7vu3Oe4