Dr. Katharina Weitz ist Erzieherin, Psychologin und Informatikerin. Sie forscht am Fraunhofer Heinrich-Hertz-Institut in Berlin an Möglichkeiten, künstliche Intelligenz für Menschen erklärbar und nachvollziehbar zu gestalten. Neben ihrer Forschung vermittelt sie Wissen über Informatik und KI in Workshops, Vorträgen, Videos und Büchern.

Digitalisierung und KI: Welche Geräte, Apps, Funktionen sind im Gesundheitswesen – speziell in Pflegeheimen – nicht mehr wegzudenken?

Dr. Katharina Weitz: Hier würde ich gerne die Bereiche Digitalisierung und künstliche Intelligenz getrennt betrachten. Digitalisierung ist, kurz gesagt, die Voraussetzung, um KI-Systeme überhaupt nutzen zu können. Und hier gab es in den letzten Jahren viele Fortschritte. Angefangen bei der Digitalisierung der Dokumentation, zunächst vielleicht in Form von Checklisten oder Tabellen, die man mit Programmen wie Word oder Excel erstellen kann. Mittlerweile gibt es Lösungen, die zum Beispiel dabei helfen, Schichtpläne zu erstellen, die Leistungsabrechnung zu erleichtern oder die die Kommunikation im Team unterstützen (E-Mails, Chats usw.). Oft gibt es nicht nur mehr einzelne Anwendungen, sondern verschiedene Funktionen werden in Gesamtpaketen von Dienstleistern angeboten.

Künstliche Intelligenz erweitert diese Digitalisierung mit neuen Möglichkeiten. Was wir heute an KI bereits in den Einrichtungen finden, ist jedoch noch in der Erprobungsphase.

Ein Beispiel sind die Pflegepraxiszentren (mehr Infos: https://www.cluster-zukunft-der-pflege.de ). Hier wird erforscht und erprobt, wie Technik in den Pflegeprozess integriert werden kann. Dazu gehört zum Beispiel das Testen von Sensoren, die erkennen, wenn sturzgefährdete Menschen aufstehen, oder Sensoren, die erkennen, wenn eine Person gestürzt ist. Was wir nicht vergessen dürfen: Unsere Gesellschaft nutzt solche Technologien bereits. Wir finden sie heutzutage zum Beispiel in Smartwatches und Smartphones. Sie auch in der Pflege einzusetzen, ist daher nur ein nächster Schritt, keine völlig neue Innovation.

Roboter unterstützen den Menschen bei vielen mechanischen Tätigkeiten. Zunehmend werden sie auch im direkten Kontakt mit Menschen erprobt. Im Krankenhaus oder Pflegeheim bringen sie den Patientinnen und Patienten beispielsweise das Essen, überwachen ihren Gesundheitszustand oder führen Gespräche mit älteren Menschen gegen die Einsamkeit. Wie können Maschinen bzw. KI-Algorithmen lernen, menschliche Gefühle zu entschlüsseln und entsprechend zu reagieren?

Dr. Katharina Weitz: Die Grundlagen zur Erkennung von Emotionen findet sich in der Psychologieforschung. Ein Beispiel ist die Theorie der Basisemotionen von Paul Ekman. Diese besagt, dass es grundlegende Emotionen, die Basisemotionen, gibt, die unabhängig von Kultur und Umfeld auf ähnliche Weise durch Gesichtsausdrücke mitgeteilt werden. Zu den sechs Basisemotionen gehören: Freude, Trauer, Wut, Angst, Ekel und Überraschung. Mithilfe von Muskelbewegungen im Gesicht lassen sich diese Emotionen beschreiben – Ekman spricht hier von Action Units. Beim Lächeln, das ein Merkmal für die Basisemotion Freude ist, ist Action Unit 12 (das Anheben der Mundwinkel) wichtig. Dieser Ansatz kann genutzt werden, um KI darauf zu trainieren, solche Action Units zu erkennen und daraus eine Emotion abzuleiten. Diese Emotionserkennung kann dann kombiniert werden mit Anweisungen für die KI, wie sie reagieren soll. Wenn zum Beispiel Trauer erkannt wird, könnte eine Anweisung sein, dass das KI-System fragt, warum die Person traurig schaut. Ein Roboter könnte zum Beispiel eine Umarmung zum Trost anbieten. 

Wenn Sie das jetzt lesen, denken Sie vielleicht: „Moment, aber Emotionen sind doch viel komplexer!“ Und da haben Sie Recht! Ekmans Theorie der Basisemotionen ist kritisch diskutiert und dient nur als erster Ansatz. Wir wissen durch zahlreiche Studien, dass menschliche Emotionen deutlich vielschichtiger sind. Zudem spielen auch die Umgebung und die Situation, in der sich eine Person befindet, eine wichtige Rolle. Je nach kulturellem Hintergrund lächeln Menschen zum Beispiel, wenn sie höflich sein wollen – das bedeutet keineswegs, dass die Person glücklich ist oder ihrem Gegenüber gar zustimmt.

Einem KI-System beizubringen, den Kontext miteinzubeziehen, ist momentan noch eine große Herausforderung. 

Welche Vorteile birgt der Einsatz von KI im Pflegeheim – für die Bewohnerinnen und Bewohner?

Dr. Katharina Weitz: Wenn KI-Systeme helfen können, Pflegekräfte zu entlasten, spüren Bewohner und Bewohnerinnen das. Studien zeigen, dass sich die Entlastung des Pflegepersonals positiv auf die Pflegearbeit auswirkt. 

Zudem können KI-Technologien den Alltag von Bewohnern und Bewohnerinnen in Zukunft erleichtern.

Wenn Roboter zum Beispiel bei alltäglichen Aufgaben unterstützen, können Menschen länger selbstständig bleiben. 

Als weiteren Punkt sehe ich die Vorsorge und medizinische Versorgung. Wenn KI-Systeme zum Beispiel auf kritische Situationen hinweisen, kann Verletzungen vorgebeugt werden.

Können Roboter wirklich emotionale und soziale Bedürfnisse erfüllen?

Dr. Katharina Weitz: Roboter können kurzweilige Unterhaltung bieten, so wie ein gutes Buch, eine spannende Serie oder ein entspannter Spaziergang. Es kann Freude machen, sich mit einem Roboter auszutauschen, ihm vielleicht etwas beizubringen (zum Beispiel das eigene Lieblingslied) oder sich mit ihm zu unterhalten. Ein Roboter ist aber kein Mensch – und sollte auch nicht als Ersatz für Menschen gesehen werden. Natürlich kann ein Roboter menschliche Aufgaben übernehmen, zum Beispiel daran erinnern, dass man eine Tablette noch nehmen muss oder körperlich anstrengende Aufgaben übernehmen, zum Beispiel, etwas Schweres zu tragen.

Aber die Interaktion zwischen Menschen, körperliche Nähe, ehrliches Interesse an einer Person – das ist nichts, was ich als zentrale Aufgabe eines Roboters sehe. 

Und wie sehen die Vorteile beim Einsatz von Robotern/KI für das Pflegepersonal aus?

Dr. Katharina Weitz: Wie schon beschrieben, wären Roboter in der Pflege ein Mehrwert, um Personal zu entlasten und insbesondere körperlich anstrengende Aufgaben zu übernehmen. Die Verwendung des Konjunktivs ist hier Absicht.

Denn momentan haben wir noch keine Pflegeroboter, die flächendeckend in der Praxis eingesetzt werden. Momentan sind die meisten Roboter im Rahmen von Forschungskooperationen in Pflegeeinrichtungen im Einsatz. 

Welche Risiken gibt es beim Einsatz solcher Technologien und wo sind für Sie definitiv die Grenzen erreicht?

Dr. Katharina Weitz: Bei Risiken kommen vielleicht zunächst gravierende Verletzungen der Menschenrechte in den Kopf: Personen, die nicht mehr selbst entscheiden dürfen, wann sie etwas tun möchten, Menschen, die an den Roboter „abgeschoben“ werden. Das sind Extrembeispiele, die wichtig zu durchdenken sind, aber die sich nicht auf den aktuellen Stand der Technik beziehen. Ich weise gerne darauf hin, dass die Risiken und der Frust über Roboter bereits heutzutage wichtige Themen sind, auch ohne die extremen Horrorszenarien. Heutzutage sind die Risiken beim Einsatz von Robotern vergleichbar mit dem Einsatz anderer Technologien. Ein Blick auf die eigene Einrichtung sowie die eigenen Arbeitsprozesse ist notwendig, um Technologien – also auch Roboter – sinnvoll in Arbeitsabläufe zu integrieren.

„Einfach mal“ einen Roboter zu kaufen, das halte ich nicht für zielführend. Am Ende hat man viel Geld ausgegeben, ist frustriert, weil der Roboter kaum genutzt wird und in der Ecke verstaubt, oder, noch schlimmer, für das Pflegepersonal Mehrarbeit bedeutet.

Ich habe vor Kurzem in der Forschungsarbeit von James Wrigth (Robots versus migrants? Reconfiguring the future of Japanese institutional eldercare, Taylor & Francis Online, 10th May 2019, https://doi.org/10.1080/14672715.2019.1612765) die Aussage einer Pflegekraft gelesen, die kommentierte, dass, wenn eine Pflegeeinrichtung Geld für einen Roboter hat (je nach Modell kosten kleinere Roboter zwischen 7.000 bis 20.000 Euro pro Modell), der sinnvollere Schritt vielleicht wäre, anstatt den Roboter zu kaufen, die Pflegekräfte besser zu bezahlen. 

Ich finde das einen wichtigen Punkt: Über die Wertschätzung der Mitarbeitenden und der Rolle der Roboter und Pflegekräfte in der Pflegeeinrichtung muss nachgedacht werden. Sind Roboter in Zukunft eine Möglichkeit, dem Pflegekräftemangel entgegenzuwirken? Wie können wir in unsere Mitarbeitenden investieren? Wie sollten wir uns als Pflegeeinrichtung für die Zukunft aufstellen? Wir können uns Roboter hier unterstützen?

Was ich mit diesen angerissenen Fragen zeigen möchte: Wir schaffen heute, auch wenn wir noch keine Roboter flächendeckend in Pflegeeinrichtungen einsetzen, die Grundlagen und Maßstäbe, an denen sich zukünftige Robotergenerationen messen müssen.

Wenn wir heute einen sinnvollen, menschenzentrierten Einsatz von Robotern in den Fokus rücken und uns überlegen, wie uns diese Technologie in unserer Arbeit unterstützen kann, sodass wir wieder mehr Zeit für Kommunikation und Interaktion mit unseren menschlichen Gegenübern haben, dann sehe ich dem Einsatz von Robotern in der Zukunft positiv entgegen. 

Copyrights: Dr. Kathatina Weitz (Porträt) und © Tobias Thiergen


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