Über mehr Mut hin zu neuen Blickwinkeln und einer neuen Führungskultur in der Pflege sprachen wir mit Marketingberater und Hochschuldozent Dr. Jassir Qushta, QpIT projektbasierte IT-Beratung UG, Kiel, und mit Karla Kämmer, Karla Kämmer Beratungsgesellschaft, Essen.

Ein Zitat von Führungsexperte und Managementberater Reinhard K. Sprenger lautet: „Nichts ist so problematisch für den Erfolg von morgen wie der Erfolg von gestern.“ Wie würden Sie diesen Satz einordnen/bewerten, wenn Sie sich die typische Organisation in der Pflege anschauen?

Karla Kämmer: In der Pflege sind wir es ja seit Jahrzehnten gewohnt, Mangelsituationen zu managen, sehr schnell und effizient zu arbeiten. Darin sind wir sehr erfolgreich. Klar, viele Ansprüche bleiben da im Alltag auf der Strecke. Aber der Alltag läuft, und viele Klienten von heute sind recht zufrieden. Wir zaubern hier täglich großartige Erfolge. Die Anforderungen der Zukunft weisen da in eine andere Richtung: Die Klienten wünschen sich individuellere Leistungen in angemessen Wohnsettings – nicht mehr institutionalisiert, sondern selbstbestimmt und mit vielen Wahlmöglichkeiten, in differenzierter, angemessener Qualität.

Auch die Mitarbeitenden sehnen sich nach entspannteren, mehr selbstbestimmten, moderneren, weniger stressgeprägten Arbeitssituationen. Sie wünschen sich mehr sinnvolle Gestaltungsräume, beteiligende, stabile Führung, planbare Dienst- und Freizeiten und neue Arbeitszeitmodelle. 

Das Neue Personalbemessungssystem ermöglicht uns an vielen Stellen eine angemessene Umsetzung. 

So komisch es sich auch anhören mag: Unsere Mitarbeitenden müssen jetzt lernen ruhig, achtsam, qualifikations- und kompetenzorientiert zu arbeiten und sich neu zu organisieren.

Der ganze Sektor muss umlernen!

Was sind die größten organisationalen Risiken, mit denen die Pflege heute zu kämpfen hat?

Karla Kämmer: Der erschütternde und zermürbende Personalmangel, der so nicht hätte eintreten müssen, denn unser Berufsfeld ist im Grunde hochattraktiv, weil sinnvoll, mit vielen Möglichkeiten der persönlichen Entfaltung und Entwicklung bis zur Hochschulkarriere.

Wenn Politik rechtzeitig die Weichen in Professionalisierung und Attraktivität des Arbeitsfeldes gestellt hätte … Was sage ich „hätte“! Auch heute ist die Unterstützung durch die Politik viel zu zögerlich, was Selbstverwaltung und Gleichstellung als Profession angeht.

Wir brauchen ganz klare Signale für bessere Arbeitsbedingungen, erleichterte Personalanwerbung, Umsetzung der entbürokratisierten Abläufe und viele Experimentier- und Gestaltungsräume.

Was genau versteht man unter Mindful Leadership, was sind die Schlüsselaspekte?

Dr. Jassir Qushta: Unter dem Begriff Leadership versteht man allgemeinhin die Führung (und auch die Inspiration, Motivation und Begeisterung) von Menschen sowie die Gesamtheit der Führungsqualitäten. Für den Begriff Mindfulness gibt es in der Literatur eine Vielzahl an Definitionsversuchen, die sich im Kern alle um Achtsamkeit drehen. Vor allen Dingen die Harvard-Professorin und Psychologin Ellen Langer hat den Begriff und die Deutung von Mindfulness beziehungsweise vom Prinzip der Achtsamkeit wegweisend geprägt und erstmals in die westliche Kultur eingeführt.

Nach Ellen Langer ist Mindfulness der Prozess und die Fähigkeit des aktiven Erkennens von Neuem.

Wenn wir uns diesen Satz vergegenwärtigen, dann ist Mindful Leadership nicht einfach eine starre Definition im Sinne von: Wenn ich genau dies und/oder das tue, dann erfülle ich die Vorstellung von Mindful Leadership. Wenn wir so agieren, dann nehmen wir uns nämlich einen großen Teil des Konzepts der Achtsamkeit und der Voraussetzung, Neues wahrnehmen zu können. Das wäre fatal, denn dann nehmen wir uns genau den essenziellen Teil des Konzepts/des Prozesses, der nur aktiv selbst erfahren werden kann (sei es mittels unterschiedlicher Mechanismen oder Bewusstseinsebenen). Man kann daher formulieren, dass der Schlüsselaspekt von Mindful Leadership die Selbstführung ist. Die Selbstführung steht im Zentrum. Und alles, was aus den Leadership-Bereichen heraus entwickelt wird, seien es die Personalführung, die Entscheidungsfindung oder motivationale Wirkungen, basiert, wenn man das Konzept des Mindful Leadership zugrunde legt, auf der Frage:

Wie gut bin ich in der Lage, mich selbst zu führen? Mindfulness/Mindful Leadership basiert auf der Annahme, dass ich das nur kann, wenn ich im Hier und Jetzt bin.

Und diese Art von Selbstführung kann ich nur schaffen, wenn ich meine Situation in diesem Moment betrachte, mich zurücknehme und mich ganz bewusst sowohl von Gedanken und Gefühlen an die Zukunft als auch von Gedanken und Gefühlen an die Vergangenheit löse. Dadurch erziele ich eine neue Gewissheit und einen klaren Blick auf meinen jetzigen Status und die aktuellen Gegebenheiten.

Auf diese Weise werde ich in die Lage versetzt, wesentlich bessere Entscheidungen zu treffen, da diese Entscheidungen nicht aus Stress oder einer Drucksituationen heraus entstehen.

Betrachten wir, wie oft Führungskräfte mit zu vielen Terminen, Aufgaben usw. komplett überlastet sein können. Viele Entscheidungen werden dann nur noch schnell-schnell aus einer Art Notfallprogramm oder Kampfmodus heraus getroffen. Denn aus der Forschung wissen wir, dass Stress (und Stress ist auch immer eine Form der Angst) unsere Entscheidungsfähigkeit sehr stark einschränkt, wir denken sehr viel linearer, es kommt zu einer Schwarz-Weiß-/Gut-Böse/Freund-Feind-Denke, unsere Empathie schwindet, unser Wollen wird stur, alle Bewusstseinsebenen werden stark limitiert. Im Gegensatz dazu ist Mindfulness/Mindful Leadership – noch einmal zusammengefasst – Selbstführung mit der Fähigkeit innezuhalten, eine Situation in Ruhe, indem ich ganz bei mir selbst bin, detailliert zu beurteilen und im Hier und Jetzt aktiv Neues zu entdecken. Mit der Fähigkeit innezuhalten, versetze ich mich in die Lage, mein Bewusstsein zu öffnen, die Perspektive zu wechseln und Dinge wieder differenziert und empathisch wahrzunehmen, um bessere, belastbarere Entscheidungen zu treffen.

Zudem ist man sich heutzutage weitestgehend einig, dass Einfühlungsvermögen und das Konzept der emotionalen Intelligenz in Führungssituationen/-funktionen essenziell sind. Mindful Leadership ist also der Entwurf, was ich selbst tun kann, um meine Ressourcen für eine bessere, erfolgreichere Führung einzusetzen.

Wie passen Risikokultur und Mindful Leadership eigentlich zusammen beziehungsweise wie bringt man beides unter einen Hut?

Dr. Jassir Qushta: Im Grunde genommen passen Risikokultur und Mindful Leadership wunderbar zusammen. Schauen wir uns zwei wesentliche Faktoren in der Risikokultur an: Resilienz und die Fähigkeit zu antizipieren, was als Nächstes passieren wird.

Die Fähigkeit zur Antizipation ist aber immer nur dann effektiv, wenn ich das von einem sehr klaren Standpunkt heraus machen kann.

Dazu muss man berücksichtigen, dass wir heute kaum noch in komplizierten Umgebungen (mit kalkulierbaren Szenarien), sondern in sehr komplexen Umgebungen unterwegs sind. Die Welten, in denen wir uns heute bewegen, werden durch die Megatrends Digitalisierung, Internationalisierung, Globalisierung und künstliche Intelligenz beeinflusst, und die linearen Entstehungs- und Wirkungsmechanismen und -abhängigkeiten sind nicht mehr existent, die Komplexität hat sehr stark zugenommen, und wir sind von einer weitestgehend komplizierten in eine weitestgehend komplexe Welt gewechselt. Doch in einer komplexen Umwelt ist es schon aus systemtheoretischer Sicht unmöglich, Dinge über einen längeren Zeitraum vorherzusagen (Stichwort: Schmetterlingseffekt). Jetzt kommt Mindful Leadership und damit die Fähigkeit innezuhalten und sich selbst zu führen ins Spiel. Ich kann eine sehr viel höhere Resilienz entwickeln und Stresssituationen besser aushalten. Ich kann mich aktiv aus dem Überforderungs-/Stress-/Angstmodus, in dem alle meine Bewusstseinsfunktionen sehr stark eingeschränkt sind, lösen und zurück in meine Mitte kommen, durchatmen und meinen Standpunkt in Ruhe etablieren und betrachten, was da ist. Das ist eine ganz andere Qualität der Antizipation, als wenn ich versuche in die Zukunft zu schauen, während ich sprichwörtlich die ganze Zeit durch die Gegend gewirbelt werde. Hier greift noch ein weiterer Aspekt, der nicht irrelevant ist, wenn wir über Mindful Leadership reden: nämlich die Fähigkeit durch diese Resilienz, durch das Lösen von Verstrickungen, durch das im Hier-und-Jetzt-Sein etablierte Automatismen zu unterbrechen. Wenn mir eine höhere Resilienz und das Aufbrechen von Automatismen gelingt, kann ich dies nutzen, um eine andere, neue Antizipationsfähigkeit zu entwickeln. Denn wenn ich nun antizipiere, überlege ich, was folgt in diesem Moment aus was, was kommt als Nächstes, wie kann ich aktiv werden, was kann ich beeinflussen?

Es sind zwei verschiedene paar Schuhe, ob ich aus einem Modus des Reagierens heraus automatisch und ohne eigenen Einfluss handele oder ob ich den Reiz „Automatismus“ durchbreche und bewusst in einen Modus des Agierens wechsele.

Allein diese kleine Tatsache macht in der Fähigkeit der Antizipation einen Riesenunterschied! Weil er eben das auflöst, was wir bisher angenommen haben: Aus a folgt b folgt c, also müssen wir uns auf c vorbereiten. Doch so ist es eben nicht, weil wir gar nicht sagen können, ob aus a b oder c oder x folgt. Doch wir sind nun in der Lage, egal was aus a folgt, diesen Reiz, der auf uns trifft, zu unterbrechen und ihn in der jetzigen Situation aus einer resilienten Haltung heraus zu beurteilen und daraus nachweislich gesündere, bessere, belastbarere und nachhaltigere Entscheidungen zu treffen.

Wie kann Mindful Leadership in der Pflege erfolgreich etabliert werden (Aufgabe der Führung)?

Dr. Jassir Qushta: Zuallererst: Mindfulness und daraus folgend Mindful Leadership ist – wie ein Muskel – trainierbar. Betrachten wir die Pflege, ist allgemein bekannt, wie sehr die Menschen dort am Limit laufen und wie häufig sie Stresssituationen ausgesetzt sind.

Umso wichtiger ist es, physische und psychische Räume für dieses Training zu schaffen, Räume, in denen das Innehalten erst möglich wird. Das könnte zum Beispiel über festgelegte Zeitslots passieren oder es könnten stille Bereiche ausgewiesen werden, die nur dem Zweck dienen, zu reflektieren und zur Ruhe zu kommen.

Im Buddhismus gibt es die schöne Metapher vom Sand im Wasserglas. Ist der Sand aufgewirbelt, kann man nicht durch das Glas hindurchschauen. Doch lässt man das Wasserglas nur eine kleine Weile stehen, lässt das System zur Ruhe kommen, dann sieht man wieder klarer. Aus meiner Sicht muss die Führung hier ganz klar Verantwortung übernehmen. Doch die Erfahrung zeigt auch, dass Angebote allein nicht ausreichen. Viele Unternehmensführungen, mit denen ich gesprochen habe, bieten zwar beispielsweise Räume der Stille oder den Relaxed Friday an, aber die Räume werden nicht angenommen, und an den Relaxed Friday hält sich niemand. Der Grund ist, dass die Unternehmensführung häufig ignoriert, dass es implizite Regeln gibt, die die Mitarbeitenden entweder in sich selbst tragen („Ich habe zwar mein Ruhezeitfenster geblockt, doch ich muss noch dies und das erledigen.“) oder die sich im Unternehmen als heimliche Spielregeln etabliert haben. Denken Sie beispielsweise an den altbekannten Spruch „Lunch is for Losers“. Ich habe in der Beratung bearbeitet, da war es gang und gäbe, aufs Mittagessen zu verzichten, um die Karriere nicht zu gefährden. Solche impliziten Regeln, die unter der Oberfläche existieren, müssen zutage gefördert werden, auch wenn es unangenehm ist. Und es reicht auch absolut nicht aus, auf einem Blatt Papier festzuhalten, dass die neue Unternehmensvision vorsieht, dass ab sofort alle gut miteinander umgehen. Die impliziten Regeln sind immer sehr viel stärker als die geschriebenen Regeln.

Es ist also die Aufgabe des Managements, die Räume fürs Innehalten zu schaffen und dafür zu sorgen, dass sie auch angenommen werden. Das schafft das Management aber nur – und hiermit schließt sich der Kreis – durch Selbstführung.

Führungspersönlichkeiten sind immer auch Vorbilder und Mitarbeitende neigen implizit und explizit dazu, sich nach den Führungspersönlichkeiten auszurichten. Wenn der Chef/die Chefin zwar Ruhepausen anordnet, sie selbst aber nicht einhält, dann kann er/sie nicht erwarten, dass es die Mitarbeitenden tun.

Welche (neuen/veränderten) Verantwortlichkeiten fallen den Pflegekräften zu (Vorteile)?

Karla Kämmer: Durch die Veränderungen im neuen Pflegeberufegesetz und die neue Personalbemessung werden die Aufgaben und Handlungsfelder qualifikations-, kompetenz- und präferenzorientierter aufgeteilt. Ziel ist, dass sich jeder mit seinen Potenzialen einbringen kann. Das mindert Druck und Überforderung und setzt viele Optionen für neue Gestaltungsräume in Führung und Teams frei. Fachkräften fallen interessante, personenzentrierte Handlungsfelder im Steuerungs- und Fachbereich zu. Auch die Mitarbeitenden in der Fachassistenz und Assistenz erhalten neue Handlungsfelder in klarer Kompetenzzuordnung und mit vielen Möglichkeiten der selbstbestimmten Ausgestaltung im Alltagsmanagement.

Das bedeutet aber auch, dass viele gewohnte Prozesse und Arbeitsverfahren aus der alten Zeit der zentralen Steuerung und der Mangelverwaltung hinterfragt und neu gedacht werden müssen, Digitalisierung, Formen von New Work und flache Hierarchien kombiniert mit Expertenwissen inklusive.

Das Ende der alten institutionellen Organisation. Das wird eine echte „Operation am offenen Herzen“!

Wie schafft man es dabei, althergebrachte Automatismen zu durchbrechen, und was kann man daraus lernen?

Dr. Jassir Qushta: Wenn wir Automatismen betrachten, dann spielen sie sich auf vielen verschiedenen Ebenen ab. Sie passieren auf einer ganz konkreten, spontanen Ebene, die durch unsere Kultur, unsere Gesellschaft, unsere Kindheit, unsere Erziehung geprägt ist. Und es gibt eine Menge an Automatismen, die unser Zusammenleben enorm erleichtern. Es kann also nicht darum gehen, plötzlich alle Automatismen, alle Muster durchbrechen zu wollen. Aber es ist wichtig, einen Blick dafür zu entwickeln, wo haben wir es mit Automatismen zu tun und welche sind das. Wenn zum Beispiel mein Gegenüber niest, dann sage ich automatisch „Gesundheit“ und niemand wird sich daran stören. So etwas nennt man einen unkritischen Automatismus. Aber es ist, wie gesagt, wichtig, genauer zu analysieren und einen Blick dafür zu entwickeln, wo wir überall mit welchen Automatismen konfrontiert sind. Wie viel Zeit des Tages verbringe ich eigentlich ohne Selbststeuerung im Autopiloten? Das kann so weit gehen, dass ich von der Arbeit nach Hause komme und vielleicht das erste Mal „wach“ werde und mich frage, was eigentlich den ganzen Tag so passiert ist, weil ich die ganze Zeit im Automatismus unterwegs war. Der Schlüssel liegt darin, zu erkennen, welche Automatismen ich durchbrechen sollte und will.

Und Überraschung, die Lösung liegt im Innehalten, es ist die einzige Möglichkeit, aus dem Hamsterrad auszusteigen. Dieses Innehalten, eine Pause machen, kann ich innerhalb von drei Minuten realisieren – Stopp-Methode genannt. Diese Methode bietet praktisch mit null Aufwand die Möglichkeit einer Unterbrechung, egal, was ich gerade tue.

Habe ich zum Beispiel gerade in einem Zimmer das Bett gemacht, kann ich auf dem Weg ins nächste Zimmer kurz innehalten und drei Minuten durchatmen – nichts weiter. So löse ich mich aus dem Automatismus „erst dies, dann das, dann jenes“, ich nehme Tempo raus, bevor ich den nächsten Schritt mache. Was in dieser klitzekleinen Übung passiert, ist, dass ich von der Fremdbestimmung für einen kurzen Moment in die Selbstbestimmung wechsele. Untersuchungen haben gezeigt, dass dies einer der Schlüsselaspekte ist, ob ich eine Situation im ungesunden Stress (Distress) oder im positiven Stress (Eustress) erlebe. Gerade wenn wir die Pflege betrachten, reden wir sicher nicht darüber, dass wir in nächster Zeit den Stress des Berufs und in der Branche beseitigen können, doch wir können dafür sorgen, dass es positiver Stress wird, der aus einer Selbststeuerung heraus passiert, der nachweislich deutlich weniger krank macht.

Wie können angemessene Anreizsysteme aussehen, um Pflegekräfte im Sinne von Mindful Leadership nachhaltig zu motivieren und dauerhaft zu binden?

Dr. Jassir Qushta: Es gibt einige Untersuchungen von Verhaltenswissenschaftlern, die die Annahme stützen, dass wir mit jeder Motivation demotivieren, dass wir also nicht von außen motivieren können. Auch Reinhard Sprenger oder Joachim Bauer haben beispielsweise dazu geforscht. Immer wenn wir versuchen, von außen zu motivieren, bleiben wir am Ende eher demotiviert zurück. Weil durch eine Motivation von außen, eine intrinsische, tragfähige, langfristige, nachhaltige Motivation („Ich mache etwas, weil ich es gerne möchte.“) schlussendlich in eine Motivation kippt, die nicht mehr aus mir selbst kommt („Ich mache etwas, weil ein anderer es gerne möchte und mich dafür belohnt – oder mich bestraft, wenn ich mich nicht motivieren lasse.“). Ich mache etwas nicht mehr aus eigenem Willen, sondern für jemand anderes oder für etwas anderes. So glaube ich nicht, dass wir mit Mindful Leadership motivieren können, aber Mindful Leadership kann dazu beitragen, dass ich mich selbst besser führe. In der Konsequenz haben wir es dann mit Führungskräften zu tun, die nicht getrieben sind, sondern aus ihrer Mitte heraus besonnen entscheiden können. Diese Führungskräfte können sehr inspirierend sein.

Eine Führungskraft, die Ruhe ausstrahlt, vermittelt zudem Stärke und Stabilität. Eine Führungskraft, die nicht ständig im Panikmodus ist (und damit die Umwelt demotiviert), kann so auf ihre Umgebung und andere Personen eine sehr beruhigende Wirkung haben. Führungskräfte sind Vorbilder und können auf diese Art und Weise zu einer Projektionsfläche und einer Inspirationsquelle für die Mitarbeitenden werden.

Die Mitarbeitenden bekommen die Möglichkeit, ihre eigenen Motive damit zu verbinden und intrinsische Motivation auszuleben, was wiederum das Wohlbefinden/das Wohlfühlen steigern und die Bindung zum Unternehmen festigen kann.

Denn es liegt in der Natur der Menschen, dass sie langfristig gesehen gern dort bleiben, wo es ihnen gut geht und sie sich wohlfühlen.

Eine Erkenntnis des Mindful Leadership, aufgegriffen aus der Salutogenese, ist, dass es uns und unserer Gesundheit guttut, wenn wir Kohärenz, wenn wir Stimmigkeit erleben. Die Wahrscheinlichkeit, dass ich in einem System, in dem Mindful Leadership angewendet wird, Stimmigkeit (hervorgerufen durch den Dreiklang Verstehbarkeit, Selbstwirksamkeit und Sinnhaftigkeit) erlebe, ist im Vergleich zu einem System, in dem Mindful Leadership fehlt, sehr hoch. In Bezug auf die Pflege wird man weniger über den Aspekt der Sinnhaftigkeit nachdenken müssen, dieser spielt eher in der Beratungsbranche, im Finanzwesen oder bei Versicherungen eine Rolle, wo es manchmal schwierig wird, die Menschen zu binden, ihnen die Möglichkeit zu geben, motiviert dabei zu sein, da sie keinen Sinn in ihrem Tun sehen. Dafür ist fehlende Selbstwirksamkeit in der Pflege ein großes Thema, denn hier herrschen immer noch sehr starre hierarchische Strukturen. Eine einzelne Pflegekraft erfährt praktisch keinerlei Selbstwirksamkeit, kann nicht mitreden, wird teils nicht berücksichtigt. Auch der Punkt Verstehbarkeit muss mehr Beachtung finden. Pflege ist immer noch zu selbstverständlich, dabei leisten die Pflegeunternehmen zusammen mit dem gesamten Gesundheitssektor im Grunde vielleicht den wichtigsten, den wertvollsten Beitrag für unsere Gesellschaft überhaupt. Und das kommt einfach noch zu wenig rüber. An den beiden genannten Aspekten Selbstwirksamkeit und Verstehbarkeit kann und muss man ansetzen:

Die Menschen in der Pflege müssen die Möglichkeit erhalten, Pflegeprozesse wirklich mitgestalten zu können. Zudem muss der Beitrag, den die Pflege tagtäglich leistet, als das angesehen werden, was er ist: ein Spiegel unserer Gesellschaft beziehungsweise wie wir in unserer Gesellschaft miteinander umgehen!

Ein ganz, ganz kleines Bisschen hat sich schon verändert, die Anerkennung und Wahrnehmung der Pflege ist während der Pandemie etwas gestiegen. Und besonders wichtig ist auch, den Personen in der Pflege zu zeigen, dass ihr Beitrag, dass jeder einzelne Beitrag entscheidender ist, als ein Unternehmen, das Millionen verdient.

Herzlichen Dank für dieses Gespräch.

>> Lesen Sie hier den Nachbericht zu den Management Parkgesprächen.

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