Das „contec forum – Pflege und Vernetzung“ feierte in diesem Jahr runden Geburtstag: In Berlin kamen am 17./18. Januar Vertreter*innen der Branche, der Leistungsträger und der Politik bereits zum 20. Mal auf Einladung von contec zusammen, um sich über aktuelle Themen offen auszutauschen, Impulse mitzunehmen und gemeinsam Ideen zu entwickeln. In diesem Jahr spannte das Programm einen Bogen von dem aktuell drängenden Thema vermehrter Insolvenzen hin zu vielversprechenden Innovationen mit KI und Co.
 
Die zwanzigste Ausgabe des contec forums als fest etablierter Branchenveranstaltung zum Jahresbeginn nahm Detlef Friedrich, Geschäftsführer von contec, zum Anlass, die Themen und Entwicklungen der letzten Jahre Revue passieren zu lassen und mit aktuellen Debatten zu verknüpfen.

„Der Rückblick zeigt, dass viele Themen aus den vergangenen Jahren heute noch bzw. wieder aktuell sind. Das bringt natürlich die Frage hervor, ob man überhaupt etwas bewegen konnte. Die Antwort ist: Ja, es ist eine Menge passiert.“

Er hob u. a. die Konzertierte Aktion Pflege (KAP) als erfolgreichen partizipativen Prozess heraus. Zudem nannte er Quantensprünge in der Qualitätsentwicklung der Pflege und die inzwischen guten Löhne in der Branche.
 
Insolvenzen im Fokus: ein Thema, das die Branche bewegt
 
Zugleich stellte Detlef Friedrich klar: „Einiges hätte anders laufen können“ – beispielsweise mit Blick auf Arbeitsbedingungen, Entbürokratisierung, Digitalisierung, Sektorengrenzen und die Integration internationaler Pflegekräfte.

„Viele gute Entwicklungen sind noch nicht in der Breite angekommen. Schnelle Veränderungen, so die Erfahrung der letzten Jahre, sind in Deutschland zwar durchaus möglich, aber dafür braucht es einen enorm hohen Druck.“

Ob die vermehrten Insolvenzen einen solchen Druck auslösen können – da sie unweigerlich auch Fragen der Versorgungssicherheit, insbesondere in ländlichen Regionen, in den Blick rücken – wird sich zeigen.
 
Das Thema Insolvenzen bildete vor diesem Hintergrund einen inhaltlichen Ankerpunkt der Veranstaltung. In Experten-Inputs und Diskussionsformaten gab das Programm Raum für eine rechtliche Einordnung des Themas, für aktuelle Zahlen und Fragen der Wirtschaftlichkeit, für Perspektiven der Immobilienwirtschaft und der Kommunen. Es ging darum, Zusammenhänge aufzuzeigen, Mythen auszuräumen und eine fundierte Diskussion zu ermöglichen.
 
Eine wichtige Erkenntnis des Programms lag darin, dass die Zusammenhänge komplex und die Fälle immer individuell zu betrachten sind, dass die sinnvollen Herangehensweisen in wirtschaftlichen Schieflagen individuell analysiert und gewählt werden müssen und dass ein Insolvenzverfahren, solange dies noch eine strategische Entscheidung ist, nicht zwingend der beste Weg sein muss. Einig waren sich die Teilnehmenden u. a. auch, dass es flexible Lösungen braucht, um Liquidität für Leistungserbringer zu gewährleisten. Detlef Friedrich betonte in diesem Kontext, dass Bewegung im Markt durch funktionierende Geschäftsmodelle eine Chance sein kann, nicht aber eine Marktbereinigung durch Insolvenzen.
 
Nicht mehr warten, sondern in die Gestaltungskraft der Pflege vertrauen
 
Es braucht weiterhin mutige Veränderungen für die Pflege, das wurde im Laufe des contec forums einmal mehr deutlich. So präsentierte Prof. Dr. Matthias von Schwanenflügel, Fellow am IEGUS-Institut, seine Vision für eine in Modulen gedachte tiefgreifende Veränderung des derzeitigen Versorgungssystems, mit dem übergeordneten Ziel einer gestärkten Selbstbestimmung der Pflegebedürftigen. Reiner Kasperbauer, Vorstandsvorsitzender a. D. des Medizinischen Diensts in Bayern, stellte ein neuartiges Projekt aus dem österreichischen Burgenland vor, das auf die Anstellung und begleitende Qualifizierung pflegender Angehöriger setzt und bei den Teilnehmenden viel Zuspruch fand. Zudem waren in den Diskussionen und Wortbeiträgen immer wieder die Namen bekannter Leuchtturmprojekte wie Buurtzorg oder Stambulant und der von der Initiative Pro-Pflegereform geprägte Begriff des Sockel-Spitze-Tauschs zu hören.
 
Zwar konnte Dr. Martin Schölkopf, Leiter der Abteilung Pflegeversicherung und Stärkung des Bundesgesundheitsministeriums (BMG), den Teilnehmenden keine Hoffnung für „den einen großen Wurf“ der Pflegereform in dieser Legislatur geben. Dennoch sei einiges auf den Weg gebracht worden, das die Pflege nachhaltig stärken könne. Es sei ebenfalls noch vieles geplant, darunter das Pflegekompetenzgesetz und auch eine Stärkung der Rolle der Kommunen. Diese befürwortet auch 
Dr. Irene Vorholz, Beigeordnete des Deutschen Landkreistages, die in ihrem Vortrag nicht nur die Gestaltungsmöglichkeiten der Kommunen im Bereich der Pflege aufzeigte, sondern auch eine institutionalisierte Verantwortungslosigkeit bei der Sicherstellung von Pflege, insbesondere im Insolvenzfall, kritisch heraushob. Patrick Weiss, Geschäftsbereichsleiter Pflegewirtschaft bei contec, verwies in diesem Kontext darauf, dass die Versorgungssituation auch aus wirtschaftlicher Perspektive mehr in den Fokus rücken müsse.
 
Als ein Hoffnungsträger der Branche gilt die neue Personalbemessung: Prof. Dr. Heinz Rothgang vom SOCIUM Forschungszentrum der Universität Bremen gab aktuelle Einblicke in das laufende PeBeM-Modellprojekt, an dem auch contec mitwirkt. In dessen Rahmen wird in zehn Einrichtungen Mehrpersonalisierung in Anlehnung an den Algorithmus 1.0 umgesetzt und es werden notwendige Maßnahmen der Personal- und Organisationsentwicklung sowie Umsetzungskonzepte entwickelt. Die Umsetzung richte sich dabei an dem Leitbild einer „kompetenzorientierten Bezugspflege“ aus, erläuterte Heinz Rothgang. In Richtung der Branche sendete er den Appell:

„Wer hier zuerst aktiv wird, hat einen Vorsprung im Markt.“


 
Zukunftschancen und einen möglichen Marktvorteil bringen auch zahlreiche digitale und KI-basierte Innovationen mit sich, u. a. mit dem Ansatz, Pflegekräfte zu entlasten und somit dem Personalmangel entgegenzutreten. Einen Einblick in bestehende und künftige digitale bzw. KI-basierte Potenziale gaben
u. a. Dr. Florian Schütz, Geschäftsführer des KI Park e. V., sowie Prof. Dr. David Matusiewicz, Wissenschaftlicher Direktor am Institut für Gesundheit & Soziales der FOM, in ihren Beiträgen. contec-Geschäftsführer Detlef Friedrich ermutigte mit Blick auf alle innovativen Denkanstöße des Programms und trotz bestehender Einschränkungen: „Wir wollen beim contec forum die Branche mit Ideen infizieren, diese sind aber oft nicht einfach umzusetzen. Das forum soll Mut machen, nicht immer auf die Politik zu warten, mutige Schritte zu wagen, ins Handeln zu kommen und Allianzen zu schmieden. Trust in Care – wir brauchen ein Vertrauen in die Pflege, von allen Seiten!“
 
Appell an die Verantwortung der Branche und der Blick nach vorn
 
Einen Programm-Höhepunkt des diesjährigen contec forums bildete der traditionelle Neujahrsempfang, der erstmals im Berliner Wintergarten Varieté stattfand und den inhaltlichen Veranstaltungsrahmen mit Zauberei und Akrobatik abrundete. Teil des Empfangs war auch der bewährte ‚Blick über den Tellerrand der Branche‘, den in diesem Jahr Anselm Bilgri beitrug. Als ehemaliger Benediktiner-Mönch, der seine Erkenntnisse und Erfahrungen heute als Buchautor und Unternehmensberater einsetzt, gab er Gedankenanstöße dazu, was es bedeutet, den Menschen in den Mittelpunkt von Führung zu stellen.
 
Beim contec forum im Jahr 2020 hatte Detlef Friedrich die „goldenen Zwanziger der Pflege“ ausgerufen mit Blick auf eine erhoffte Aufbruchsstimmung in der Branche. Es folgte jedoch die Corona-Pandemie mit unvorhergesehenen Auswirkungen. Heute, so stellte er fest, zeigten sich nun Parallelen zu den zwanziger Jahren des letzten Jahrhunderts, die das von ihm gewählte Sprachbild erneut in einem anderen Licht erscheinen ließen. Nach den jüngst veröffentlichten Recherchen des Netzwerks „CORRECTIV“ appellierte er an die Teilnehmenden vor Ort:

„Unsere Branche hat eine Verantwortung, sich gegen Ausgrenzung zu stellen und für Inklusion und Diversität einzutreten. Wir wollen eine bunte, internationale Pflege! Ich lade Sie dringend ein, dagegenzuhalten, Diskussionen in Ihren Organisationen zu fördern, die Stimme der Branche hören zu lassen und zu nutzen.“


 
Was nach zwanzig Jahren contec forum und einer erfolgreichen Jubiläumsausgabe nun 2025 folgen wird, darauf gab Detlef Friedrich in seinen Abschlussworten bereits einen Vorgeschmack: „Wir werden weiterhin das beliebte Vernetzungstreffen der Branche bleiben, das zu gemeinsamen Initiativen einlädt. Wir werden aber auch Dinge ganz neu machen, mit interaktiven Formaten und indem viel stärker die junge Generation der Pflege-Expert*innen mit ihren Ideen und Denkweisen das forum gestaltet. Seien Sie gespannt!“
 

1 comment
  1. Das Jubiläumstreffen war ein sicherlich hochrangiger Austausch zum Thema Pflege. Wir gratulieren dem Unternehmen, es leistet viel für die Interessen der professionellen Pflege. Denn darum geht es doch, wenn der Begriff “Pflege” verwendet wird, oder?
    “Pflege” wird auch bei der beschriebenen Veranstaltung als Synonym für professionelle Pflege verwendet. Wird die informelle Pflege vor allem im Zusammenhang mit Projekten gesehen? Wenn die informelle Pflege mit ihrem 84%-igen Anteil (Destatis 2021) an der Gesamtpflege das “Rückgrat des deutschen Pflegesystems” ist, (Positionspapier “Die Pflege zukunftsfest machen” der CDU/CSU Fraktion im Deutschen Bundestag v.10.10. 23) dann sollte sie künftig im Pflegesystem auch den ihr prozentual zukommenden Platz einnehmen können.
    Ich denke, es ist an der Zeit “die Pflege” differenziert zu betrachten und zu behandeln. Ich bin zuversichtlich, dass die “normative Kraft des Faktischen” den Weg in eine gemeinsame Zukunft der professionellen und der informellen Pflege weisen wird.

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