Das Institut für Wohnungswesen, Immobilienwirtschaft, Stadt- und Regionalentwicklung (InWIS) ist ein Forschungs- und Beratungsinstitut aus Bochum. Wir sprachen mit InWIS-Geschäftsführer Prof. Dr. Torsten Bölting über Wohnformen im Alter im Wandel der Zeit.

Wie prägen neue Altersbilder und Lebensstile die Wohnformen älterer Menschen von heute? Und wie sieht es mit ihren Bedürfnissen und Erwartungen im Wandel der Zeit aus?

Prof. Torsten Bölting: In früheren Zeiten wurden Wohn- und Unterbringungsformen für ältere Menschen geplant, ohne deren Bedürfnisse und Wünsche – jenseits von sicher und sauber – wirklich ernst zu nehmen und zu berücksichtigen. Das hat sich grundlegend gewandelt. Was auch daran liegt, dass die Bedürfnisse älterer Menschen immer deutlicher artikuliert werden. Man kann hier durchaus von einer Emanzipation des Alters sprechen. Und das ist gut so! Denn wir haben es heutzutage mit Seniorinnen und Senioren zu tun, die nicht mehr alles klaglos und als gegeben hinnehmen – ganz im Gegensatz zu den Generationen, die zum Beispiel noch auf Kriegserfahrungen und -auswirkungen zurückblicken können oder harte Entbehrungen kennen. In der Milieuforschung haben wir diese Generationen auch als die „Bescheidenen“ bezeichnet.

Heute sind die Menschen eher gewohnt, ihre individuellen Bedürfnisse und Erwartungen zu äußern und auch durchzusetzen.

Dies führt wiederum dazu, dass sich die älteren Menschen ganz unterschiedliche, vielfältigere Wohnformen wünschen und auch leisten – sei es das klassische Einfamilienhaus, das Appartement in der Nähe des Stadtkerns oder die Wohnung auf dem Land usw. Ältere Menschen können nicht mehr in standardisierte Wohnformen gepresst werden, sondern sie wollen, wie auch die jüngeren Generationen, nach ihren eigenen Vorstellungen leben. 

Was bedeutet daher heute altersgerechtes Wohnen?

Prof. Torsten Bölting: In allererster Linie bedeutet altersgerechtes Wohnen heute eben Wohnen und nicht Unterbringung. Die meisten Menschen erwarten grundsätzlich auch im Alter eine vollwertige Wohnung, in der sie eine selbstständige Lebensführung organisieren können, anders als beispielsweise im Heim, wo man in der Regel etwa keine eigene Küche hat. Vollwertige Wohnungen sind abgeschlossene Wohnungen, die über sämtliche Funktionen verfügen: Aufenthaltsräume, Schlafräume, Bäder, Küchen zur Selbstversorgung usw.

Zudem wollen ältere Menschen keine Wohnungen, die nach Alter, Pflege oder Krankenhaus aussehen.

Heute verbringen die Menschen eine immer längere Zeit in den eigenen vier Wänden, auch nach der Berufstätigkeit. Und so sollte die Wohnung auch verschiedene Annehmlichkeiten bieten, dazu zählen beispielsweise angemessene und ausreichend große Wohn- und Aufenthaltsräume zur Freizeitgestaltung, eine Terrasse oder ein Balkon.

Selbstverständlich wird von vielen auch die Barriere- und Schwellenfreiheit oder zumindest eine Barrierenreduzierung eingefordert, um sich selbständig innerhalb der Wohnung bewegen zu können. Wichtig ist auch, dass die Wohnung selbständig erreicht werden kann. Eine barrierefreie Wohnung ist nutzlos, wenn sie sich im 4. Stock eines Hauses ohne Aufzug befindet. Allerdings ist dazu anzumerken, dass eine 100-prozentige Barrierefreiheit oder vollständig rollstuhlgerechtes Wohnen kein absolutes Muss ist.

Viel wichtiger ist es für die Menschen zu wissen, dass in der näheren Umgebung, innerhalb des eigenen Quartiers entsprechende Wohnungsangebote zur Verfügung stehen und diese – sollte es die eigene Lebenssituation erfordern – in Anspruch genommen werden können.

Wir versuchen gerade, gemeinsam mit vielen Partnern, das in der Fläche im Rahmen einer „Internationalen Pflege-Bau-Ausstellung“ im Ruhrgebiet zu konzipieren.

Des Weiteren spielen heutzutage Komfortmerkmale, wie smarte (Haus)-Technik, eine immer größere Rolle. Die Diskussionen über Ambient Assisted Living wurde eine Zeit lang als Schnickschnack und Spielerei verlacht. Doch die aufwachsenden Kohorten haben diese Entwicklung miterlebt und mitgestaltet und die heute Ü70-Jährigen sind durchaus in der Lage Smartphones usw. zu bedienen, zu nutzen und kennen die Vorteile. 

Zudem hat, das zeigen Befragungen, sowohl beim Wohnen im Alter als auch bei den nachfolgenden Generationen die Energieeffizienz bzw. Energiesparsamkeit mittlerweile eine hohe Priorität. Und zunehmend spielt auch der Wunsch nach ökologischen Wohnformen eine Rolle. 

Welche Wohnformen/-konzepte im Alter haben Ihrer Meinung nach Zukunft? Und welche sind eher Auslaufmodelle?

Prof. Torsten Bölting: Als Auslaufmodell würde ich die typischen Altersheime bezeichnen, wie wir sie noch aus den 1980er- und 1990er-Jahren kennen. Das sind Häuser, die den Heimcharakter sehr in den Vordergrund stellen – die langen, kahlen Flure, die stereotypen Einzelzimmer. Auf Dauer wird dieses Modell in dieser Form sicher keinen Bestand haben.

Wenn Sie mich fragen, welche Wohnformen Zukunft haben, sage ich: eigentlich alle!

Denn es wird auch zukünftig gute Altenheime geben und auch geben müssen. Da für viele Menschen das Altenheim durchaus weiterhin eine gute und geeignete Wohnform darstellt. Diese Heime übernehmen allerdings viele Merkmale anderer Wohnformen, zum Beispiel Aufenthaltsqualitäten, Flexibilität von Raumnutzungen usw. Wir beobachten immer mehr, dass bei modernen Konzepten der typische Pflegeheimcharakter verloren geht.

Daneben wird sich eine große Vielfalt an weiteren Wohnformen eröffnen. Vor allen Dingen der Bereich des Servicewohnens bzw. des betreuten Wohnens bietet großes Potenzial und viele Möglichkeiten. Wir reden hier von barrierefreien Wohnungen, die zusätzliche und Zielgruppen-gerichtete Serviceangebote bieten und infrastrukturell in ein Quartier eingebunden sind, um die Versorgungssicherheit gewährleisten zu können (im Sinne des Bielefelder Modells).

Zudem gewinnt in den Gruppen der Babyboomer, ab 60 oder 65 plus, das Interesse an gemeinschaftlichen Wohnformen immer mehr an Bedeutung.

Aus Befragungen wissen wir, dass mehr als die Hälfte der heutigen Ü50-Jährigen ein sehr starkes Interesse an Wohnformen hat, bei denen neben dem eigentlichen Wohnen und den möglichen Betreuungsangeboten auch das Vorhandensein von Gemeinschaftsflächen und die Organisation gemeinschaftlicher Aktivitäten im Vordergrund stehen. 

Ein Nischenthema, das aber ebenfalls beachtenswert ist bzw. das kommen wird, ist das Konzept des Tiny Living im Alter. Leider! Denn aus gesellschaftlicher und stadtplanerischer Sicht halte ich Tiny Living/Tiny Housing für ein Desaster, wenn es extrem viele Ressourcen, denken wir beispielsweise an den Bedarf an Baustoffen und Grundstücksflächen, Erschließung etc. pro einzelnem Wohnplatz, verbraucht. Ich halte das Konzept für unglücklich, auch für die älteren Menschen, da es mit Blick auf die Gemeinschaft und Versorgung zusätzliche Herausforderungen mit sich bringt.

Wie wichtig ist bei den neuen bzw. favorisierten Wohnformen das Wohnumfeld? Und was macht ein passendes Wohnumfeld eigentlich aus?

Prof. Torsten Bölting:

Aus vielen Studien wissen wir, dass die Wohnstandortwahl entscheidend vom Wohnumfeld abhängt.

Grundsätzlich suchen Menschen erst einmal eine Wohnung, die ihren Bedürfnissen (Größe, Bezahlbarkeit usw.) entspricht, doch danach folgen sofort die Ansprüche an das Wohnumfeld. In der Regel suchen ältere Menschen integrierte und auch generationenübergreifende Lagen, die Räume bieten, die für unterschiedliche Altersgruppe und Lebensstile gleichermaßen geeignet sind. Dabei sind zum einen Räume der Ruhe und zum anderen aber vor allem Räume für den gesellschaftlichen und persönlichen Austausch wichtig. So gewinnen die sogenannten Third Places zur Begegnung, zum Beziehungsaufbau und zur sozialen Interaktion sowie zur Stärkung des Gemeinschaftsgefühls immer mehr an Bedeutung.

Es braucht Anlässe und Orte, um mit anderen Menschen in Kontakt zu gelangen und zu bleiben.

Das ist auch dem Umstand geschuldet, dass sich die Familienstrukturen verändert haben – weg von der Großfamilie, in der die verschiedenen Generationen unter einem Dach gewohnt haben, hin zu deutlich kleineren Familien und familiären Strukturen, in denen die jüngere Generation häufig nicht mehr vor Ort lebt und arbeitet. Zum Beispiel zeigt die Enquetekommission IV zum Thema Einsamkeit in Nordrhein-Westfalen ganz klar, dass gerade für ältere Menschen Angebote an Third Places im Wohnumfeld eine gewichtige Rolle spielen.

Daneben braucht ein passendes Wohnumfeld eine grundlegende Infrastrukturausstattung zur Gewährleistung einer generellen Versorgungssicherheit. Hinzu kommen alters- bzw. generationengerechte Mobilitätskonzepte im Quartier, die die individuelle Mobilität, jenseits des Autos, ermöglichen.

Wie werden geeignete, attraktive Standorte gefunden/analysiert?

Prof. Torsten Bölting: Das passiert über die Auswertung von mikrogeografischen Daten. Zum Beispiel werden die Daten möglicher Standorte in Bezug auf die Qualität der vorhandenen Infrastruktur oder auch auf die Qualität der Wohnlage oder der gegebenen Sozialstruktur bewertet. Aus Milieustudien lässt sich zudem im Detail ableiten, welche Milieus und Alterskohorten mit welchen Lebensstilen und Anforderungen korrelieren. So lässt sich relativ präzise ermitteln, welche Standorte für (ältere) Menschen besonders gut geeignet sind oder welche Bedarfe bestehen und welche Angebote an einem Standort noch geschaffen werden müssen. Ziel ist es, den Menschen eine bestenfalls lückenlose Wohnkarriere in ihrem eigenen Wohnumfeld, ihrem eigenen Quartier, ihrem eigenen Stadtteil zu ermöglichen. Denn die wenigsten Menschen möchten gern ihr angestammtes Wohnumfeld verlassen.

Wie kann/sollte eine erfolgreiche Kooperation zwischen Wohnungs- und Pflegeanbietern aussehen?

Prof. Torsten Bölting: Es gibt zwar bereits Kooperationen, doch wir mahnen immer wieder an, das hier viel mehr passieren könnte und müsste. Denn beide Partner können in einer Kooperation ihre Spezialitäten ausspielen. Die Wohnungsanbieter sind sozusagen die Spezialisten und die Treiber für die Investitionen und die Hardware – für das Bauen, Betreiben, Instandhalten. Das ist geübte und gelebte Praxis. Und die Pflegeanbieter haben nicht nur die Möglichkeit, Pflege zu leisten, sondern als Servicedienstleister ganzheitliche Betreuungs- und Unterstützungskonzepte (wie zum Beispiel Freizeitgestaltung, Begleitungs- und Urlaubsangebote u. v. m.) – neben der klassischen Pflege – aufzugleisen. Mein Eindruck ist, dass beide Partner oft nur anlass- bzw. projektbezogen miteinander reden. Es wäre daher meines Erachtens dringend geboten, die Sache strategisch und übergreifend anzugehen, um gemeinsam ein Portfolio an garantierten Angeboten und Leistungen zu schaffen, auf das die Kunden der Wohnungsunternehmen zugreifen können und die Refinanzierung über Bund oder Länder funktioniert. Doch unterschiedliche gesetzliche Vorgaben und Bauordnungen in den verschiedenen Bundesländern und unterschiedliche Abrechnungsmöglichkeiten und Zuständigkeiten stellen hier Wohnungs- und Pflegeanbieter vor immense Herausforderungen.

Umso wichtiger wäre es, dass Wohnungs- und Pflegeanbieter geeint auftreten und ihre Erwartungen und Ziele gemeinsam formulieren, damit sich die Politik in ihre Richtung bewegt.

Denn immerhin würden solche kombinierten und flexiblen Angeboteallein in Deutschland zukünftig 20 Millionen Menschen zugutekommen können. Wir sprechen also nicht von einem Nischenthema.

Herzlichen Dank für dieses Gespräch.

1 comment
Schreibe einen Kommentar zu Dirk Fischer Antworten abbrechen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert