Lee Kuan Yew war von 1959 bis 1990 der erste Premierminister des Stadtstaates Singapur, und er wollte Singapur zu einer Welt-, Handels- und Finanzmetropole machen, doch dabei sollte sie lebenswert für seine Bürgerinnen und Bürger bleiben – keine Stadt nur aus Stahl, Glas und Beton, sondern eine Stadt in einem großen Garten. Heute ist die Millionenstadt Singapur eine der modernsten und reichsten Metropolen der Welt, und mitten in ihr ein riesiger botanischer Garten, der zu den Weltkulturerbestätten der UNESCO zählt. In Singapur herrschen das ganze Jahr über Temperaturen von über 30 Grad Celsius gepaart mit einer extrem hohen Luftfeuchtigkeit. Um das Stadtklima angenehmer zu machen, wurden Hochhausflächen bepflanzt. Das Ziel ist es, bis 2030 80 Prozent der gesamten Fläche vertikal und horizontal zu begrünen. Durch die Bepflanzung wird die Stadt gekühlt, das tägliche Regenwasser kann aufgefangen werden.
Ein Interview mit Florian Bahrdt, Korrespondent im ARD-Studio Singapur.
Die Stadt hat offensichtlich vieles richtig gemacht. Wie konnte sie das schaffen? Welche Bedingungen (Politik, Menschen, Unternehmen usw.) waren nötig, um ein solches Projekt erfolgreich durchziehen zu können?
Florian Bahrdt: Der Erfolg Singapurs resultiert meiner Beobachtung nach in vielen Bereichen aus einem Mix aus Weitsicht und politischer Stabilität und der Attraktivität als Wirtschaftsstandort in Südostasien. Singapur ist ja auch nur ein relativ kleiner Stadtstaat, flächenmäßig so groß wie Hamburg. Insofern ist der Radius überschaubar. Der Stadtstaat sieht sich als Innovations- und Technologiemotor in Südostasien.
Darauf sind viele Einheimische stolz, und darum sie auch bereit, ihren Teil zum Wachstum beizusteuern.
Und das zieht natürlich auch viele Unternehmen und Menschen aus dem Ausland an, auch aus Deutschland und Europa.
Was macht das Leben in einer solchen Stadt ganz konkret aus? Was sind für Sie die herausragendsten Vorteile?
Florian Bahrdt: Sicherheit, Sauberkeit und Effizienz, und das Ganze gemischt mit den exotischen Einflüssen zahlreicher Kulturen, Traditionen und Religionen. In Singapur sind unterschiedliche Ethnien zu Hause, die sich größtenteils respektieren und schätzen. Die Regeln sind streng, für Essen und Trinken in der U-Bahn sind zum Beispiel 500 Singapur-Dollar fällig (das sind etwa 350 Euro), sehr viele Plätze sind videoüberwacht, das minimiert Kriminalität und Diebstähle. Ich habe hier schon mehrmals mein Fahrrad unabgeschlossen vor dem Supermarkt stehen lassen. Das wird so schnell nicht geklaut. Hier ist alles sehr effizient organisiert.
Wartezeiten bei Ärzten oder Behörden sind kurz.
Selbst nach Großereignissen wie einem Silvesterfeuerwerk oder dem Formel-1-Rennen in der Stadt gehen anschließend mehrere hunderttausend Menschen gesittet und geordnet zur U-Bahn und nach Hause. Selten erlebt man in der Öffentlichkeit Belästigungen, Streit, Gedrängel. Die Singapurerinnen und Singapurer sind in der Hinsicht eher höflich und zurückhaltend.
Wie wirkt sich das Stadtentwicklungskonzept auf die Menschen aus – physisch und psychisch?
Florian Bahrdt: Singapur versucht, seine Lage mitten im Dschungel zu nutzen und die Natur in die Stadt zu integrieren. Der Zugang zu Parks verbessert das psychische Wohlbefinden der Leute, hilft beim Stressabbau. Der Alltagsstress wird gebremst durch eine effiziente Infrastruktur und eine smarte Stadtplanung. Die Menschen hier sind sehr aktiv. Schon morgens ab fünf Uhr fahren die ersten Rennradgruppen durch die Stadt, viele nutzen ihre Zeit zum Wandern oder für ihr persönliches Fitnessprogramm.
Bis ins hohe Alter machen Singapurer in der Öffentlichkeit ihre Übungen.
Trotzdem muss man natürlich sagen, dass die hohen Preise insgesamt, die harten Jobanforderungen und die im Vergleich zu Deutschland geringere soziale Absicherung auch für eine Menge psychischen Druck in der Bevölkerung sorgen können.
Wäre ein solches Konzept aus Ihrer Sicht auch auf deutsche Großstädte übertragbar?
Florian Bahrdt: Singapur ist ja nicht nur eine Großstadt, sondern ein eigener Staat. Hier macht eine Regierung die Gesetze für sechs Millionen Menschen auf einer Fläche so groß wie Hamburg. In Deutschland dagegen gibt es bundesweite, landesweite und kommunale Unterschiede – schwer zu vergleichen also. Und mein Eindruck ist, dass sich die Mentalität von Menschen in deutschen Großstädten grundsätzlich unterscheidet von der in Singapur.
Auf so ein effizientes, strenges und sauberes Stadtkonzept müssen sich ja alle einlassen und dafür auch persönliche Freiheitswünsche zurückschrauben.
Singapur ist eine der modernsten und reichsten Megacitys der Welt. Kann man das auch vom Gesundheitssystem behaupten? Und wie funktioniert es, auf welchen Eckpfeilern fußt das System?
Florian Bahrdt: Singapurs Gesundheitssystem zeichnet sich durch hohe Effizienz, moderne Technologien, gute Krankenhäuser und eine insgesamt sehr gute medizinische Versorgung aus. Das System kombiniert staatliche Regulierung mit dem privaten Gesundheitssektor und ist sehr kompliziert. Fazit ist jedenfalls:
Einen erheblichen Teil der Kosten für Behandlungen müssen Patienten selbst zahlen, auch eine zusätzliche, private Krankenversicherung deckt selten die kompletten Kosten ab.
Wie werden ältere Menschen betreut und gepflegt? Gibt es Pflegeheime? Oder findet die Pflege eher in der Familie statt?
Florian Bahrdt:
Traditionell ist die Pflege familienorientiert: Es ist gesellschaftlich stark verankert, dass Kinder sich um ihre älteren Eltern kümmern, das wird auch durch kulturelle Normen und Gesetze unterstützt.
Viele Familien zahlen zusätzlich häusliche Pflegedienste, um die Betreuung zu unterstützen. Meist machen das dann Arbeitsmigrantinnen aus anderen asiatischen Staaten.
Es gibt auch Pflegeheime in Singapur, allerdings ist die Platzkapazität begrenzt. Pflegeheime sind oft staatlich subventioniert und bieten eine intensive Betreuung für ältere Menschen, die schwer pflegebedürftig sind. Es gibt sowohl öffentliche als auch private Pflegeheime.
Wie stellt sich Singapur auf die älteren und alten Menschen ein?
Florian Bahrdt:
Singapur hat eine stark alternde Gesellschaft. Die Lebenserwartung in Singapur gehört zu den höchsten der Welt, was bedeutet, dass immer mehr Menschen älter werden.
Gleichzeitig ist die Geburtenrate in Singapur relativ niedrig (circa ein Kind pro Frau), was dazu führt, dass der Anteil älterer Menschen an der Gesamtbevölkerung steigt. Die Regierung versucht, mit verschiedenen Programmen, ältere Menschen zu integrieren und sicherzustellen, dass sie weiterhin aktiv in der Gesellschaft leben können.
Könnten Sie sich persönlich vorstellen, in Singapur alt zu werden? Oder wie sieht Ihre Vorstellung aus, alt zu werden?
Florian Bahrdt: Klar könnte ich mir das vorstellen, aber meine Entsendung als Korrespondent ist befristet. Und vielleicht würde ich im Alter auch einiges in Deutschland vermissen: Zum Beispiel frische Luft, kühlere Temperaturen und natürlich Freunde und Familie.
Bildnachweis „Singapore Changi Airport“: LanBo0428 (https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Jewel-Changi_Airport.jpg), „Jewel-Changi Airport“, https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0/legalcode
Bildrechte Porträtfoto: Florian Bahrdt | ARD